Kontoeröffnung damals und heute

Dimitrios KarathanassisKontoeröffnung damals und heuteContraLegem201815053

Kontoeröffnung damals und heute

Dimitrios Karathanassis

50Wie Informationen die Welt verbessern (sollen)

Damals

An meine erste Kontoeröffnung kann ich mich noch gut erinnern. Die Sommerferien hatten seit einigen Tagen begonnen und ich hatte, wenige Tage nach meinem 16. Geburtstag, soeben meinen ersten Ferienjob in einem kleinen Industrieunternehmen angetreten. Nach einer Begrüssung durch den Vorgesetzten wurde ich gebeten, diverse Unterlagen auszufüllen. Eine der Seiten war mit «Bankbeziehung» betitelt und leicht verschämt musste ich zu Protokoll geben, dass ich eine solche nicht besass. Mit einem Schmunzeln wurde mir nahegelegt, eine solche zu eröffnen, denn Gehälter würden grundsätzlich nicht bar ausbezahlt werden. In Angst um meinen zukünftigen Lohn rannte ich direkt nach der Arbeit nach Hause, meine Eltern um Rat zu fragen. Mein Vater griff zum Telephon und eine halbe Stunde später betraten wir gemeinsam die Filiale einer Bank am Dorfplatz. Der Filialleiter, ein netter, älterer Herr begrüsste meinen Vater freundlich und wendete sich dann zu mir, bat uns dann beide in sein Büro, das den Charme der 60er Jahre noch atmete. Der Filialleiter fragte mich freundlich, wie alt ich sei, wo ich zur Schule ginge, was meine Lieblingsfächer seien und ob ich Hobbys hätte. Artig beantwortete ich seine Fragen, verstand diese aber nicht als relevant für die Kontoeröffnung, sondern mehr als die gewohnten Fragen, die Erwachsene Kindern stellen, wenn ihr eigentliches Interesse deren Eltern gilt und eine gewisse Freundlichkeit den Kindern gegenüber zum guten Ton gehört. Mir wurde sodann erklärt, da ich die Volljährigkeit noch nicht erreicht hatte, dass mein Vater Mitberechtigter des Kontos würde (was mich stutzen liess, da es ja mein Geld war, das auf das Konto fliessen sollte), aber dass ich sonst frei darüber verfügen könne. Mir wurden zwei Seiten vorgelegt, die ich zu unterzeichnen hatte, wovon die eine die AGB enthielt. Nachdem ich meinen vollständigen Namen angegeben hatte, wurde ich gebeten, gleich zu unterzeichnen. Das zweite Feld mit der Adresse könne ich unausgefüllt lassen, die hätte man ja schon durch meine Eltern. Zum Schluss wurde ich noch gefragt, ob ich eine Bankkarte haben wolle, ich müsste zu diesem Zweck noch eine weitere Unterschrift tätigen. Nach zwanzig Minuten verliessen mein Vater und ich die Bank und ich hatte das Gefühl, dass das Erwachsenwerden doch einfach sein würde.

Heute

Jahre später, ein Ius-Studium und die Anwaltsprüfung liegen dazwischen, bin ich von einem Klienten gebeten worden, ihn bei Gesprächen mit einer Bank zu unterstützten. Unweit des Paradeplatzes, an einem regnerischen Nachmittag, sitzen wir zu siebt, wir beide und fünf Bankvertreter, in einem dieser vornehmen Räumlichkeiten der Bank, die mehr an die 50er Jahre erinnern, als an global banking, FATCA und AIA. Im Grunde geht es um die Aufnahme einer Bankbeziehung und die Kontoeröffnung für eine vom Kunden allein gehaltene Aktiengesellschaft. Er selber ist kolumbianischer Staatsbürger, lebt aber seit über 20 Jahren in der Schweiz und ist auch seitdem Kunde bei der besagten Bank.

Nachdem anfänglich Nettigkeiten ausgetauscht werden und der Café serviert wird, beginnt folgende, hier nur unvollständig wiedergegebene Konversation:

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B:Vielen Dank, dass Sie sich für uns entschieden haben.

K:Nun, ich bin ja schon seit langem Kunde bei Ihnen und sehr zufrieden.

B:Ja, natürlich, im Bereich Private Clients.

K:Äh, ja, genau, das ist doch bei Ihnen, oder?

B:Das ist korrekt, aber wir sind hier eine andere Abteilung, Corporate Clients. Trotzdem sind wir froh, dass Sie nun mit der X AG zu uns gekommen sind. Wir haben hier nun einige Unterlagen, die auszufüllen wären.

Die Kundenberaterin Corporate Clients übergibt mir einen Stapel von ca. 70 Seiten. Diese sind in mehrere Unterstapel sortiert.

B:Sie müssten nun diese Unterlagen ausfüllen und uns dann zusenden. Vielleicht könnten wir kurz die Dokumente gemeinsam anschauen.

K:Das ist in Ordnung, mein Rechtsanwalt wird sich darum kümmern.

B:Das ist ok, danke. Wir hätten allerdings abschliessend noch einige Fragen.

K:Was für Fragen?

B:Zu ihrer Person. Fragen genereller Natur.

An diesem Punkt hake ich nach, denn ich verstehe nicht, was für Fragen zusätzlich zu den auszufüllenden Dokumenten noch relevant sein sollten.

B:Ach sie wissen, das klassische KYC.

Noch bevor ich antworten kann, dass ich nicht weiss, was das klassische KYC ist und welche anderen KYC es noch gäbe, ergreift der Klient das Wort.

K:Das ist ok, fragen Sie bitte.

B:Sie sind verheiratet, korrekt?

K:Ja.

B:Wie lange?

K:Seit 25 Jahren.

B:Und ihre Frau, die lebt auch in Zürich?

K:Ja, natürlich. Aber hören Sie, diese Informationen haben Sie doch längst.

B:Nein, nicht unsere Abteilung und wir sind verpflichtet, nochmals gesondert zu fragen.

K:Ok, dann bitte, fahren Sie fort.

B:Wo haben Sie studiert?

K:In Bogota, Geschichte und Politik.

B:Irgendwelche Auslandssemester?

K:Nein, das war damals nicht so üblich.

B:Woher kommt ihr Vermögen?

K:Es ist das Geld meiner Familie.

B:Sie haben es geerbt, korrekt?

Nun kann ich mich nicht zurückhalten und wende ein, dass offenbar die Abteilung Corporate Clients doch an Informationen gelangt sei, welche der Abteilung Private Clients vorliegen.

B:Ja, wir kennen den Kunden halt, er ist schon lange bei uns im Hause.

Die Frage, was das Verhör dann solle, verkneife ich mir, auch weil ich sehe, dass mein Klient ruhig bleibt.

B:Also, das Vermögen haben Sie geerbt?

K:Ja, vor dreissig Jahren.

B:Durch ihre Eltern?

K:Ja.

B:Was haben Ihre Eltern beruflich gemacht?

K:Sie hatten eine Fabrik, einige Unternehmen.

B:Ok. Wie hiessen die Eltern?

K:Bitte?

B:Die Namen Ihrer Eltern.

K:Aber die sind seit dreissig Jahren tot und waren nie in der Schweiz.

B:Nun, ok, aber deren Namen müssten wir schon noch wissen.

K:Ihre Namen waren W und Z.

Wie gerne hätte ich jetzt statt W und Z, irgendwelche Figuren von García Márquez erwähnt und geschaut, ob dass der Kundeberaterin auffallen würde. Vater José Arcadio Buendía, Mutter Úrsula Iguarán. Aber auch hier verkneife ich mir die Einmischung.

B:Und sie haben einen Sohn?

K:Ja, der ist fünfzehn.

An dieser Stelle greife ich ein und wende ein, dass es nun doch etwas zu weit ginge. Die 52 Bankvertreter schauen sich kurz an und geben nach.

B:Gut, gut. Das ist nicht so wichtig. Sie wohnen immer noch in XY?

K:Ja, seit ich in der Schweiz bin.

B:Gut, zum Schluss: könnten Sie uns noch einen Lebenslauf schicken?

K:Einen was?

Auch ich hake nach, was denn mit «Lebenslauf» gemeint sei. Es gehe ja um eine Kontoeröffnung, nicht um eine Bewerbung.

B:Nun, wir haben Sie nicht auf LinkedIn gefunden, bräuchten also noch weitere Informationen.

Ich sehe das verwunderte Gesicht meines Klienten, doch auch durch eigene Neugier getrieben, frage ich nach, was LinkedIn hier für eine Rolle spiele.

B:Also, wenn wir unsere Kunden auf LinkedIn finden, dann nehmen wir das dortige Profil für den Lebenslauf, denn den müssen wir schon noch haben. Wenn die Kunden nicht auf LinkedIn sind, müssen sie einen Lebenslauf einreichen.

K:Ich bin nicht auf LinkedIn, auch nicht auf Facebook oder so.

B:Ja, das wissen wir, deshalb die Bitte um einen Lebenslauf.

K:Ähm, ja.

B:Haben Sie irgendwelche Beziehungen zu den USA?

K:Nein.

B:Sind Sie oder Familienangehörige US Bürger?

K:Nein.

B:Und Ihre Eltern? Waren die US Bürger?

K:Die sind immer noch tot! Und nein, sie waren es nicht.

B:Planen Sie, US Bürger zu werden?

K:Nicht in diesem Leben, vielleicht im nächsten.

Die Bankmitarbeiter lachen verkrampft, die Stimmung wird trotz allem aber etwas aufgelockert. Auch ich kann mir das Lachen nicht verkneifen, frage mich aber, was man denn heute noch mit Sicherheit sagen kann.

B:Nun, noch zu den Unterlagen. Wir haben für Sie mit Bleistift schon vorgezeichnet, was Sie wo ankreuzen sollten.

Ich wende ein, dass es ja sein kann, dass etwas Anderes angekreuzt werden müsste. Die Bankmitarbeiter schauen sich verwirrt an.

B:Dann rufen Sie uns bitte umgehend an. Aber eigentlich sollte das nicht nötig sein.

Die noch vor Kurzem entkrampfte Stimmung spannt sich wieder merklich an. Das betretene Schweigen wird schliesslich durchbrochen durch meinen Klienten, der angibt, dass er nun weiter müsse, noch einen Termin hätte.

B:Ok, ok. Bei Fragen melden wir uns noch.

Man verabschiedet sich und wir verlassen die Bank in die kühle Sommerluft hinaus. Mein Klient schaut mich verwirrt an, er ist noch etwas erschlagen von diesem Verhör. Nach einigen Minuten lässt er etwas Dampf ab und beschwert sich darüber, was man ihn alles gefragt habe, lenkt aber von alleine ein: «Wissen Sie, die Banken sind nicht schuld, die tun nur ihren Job, Schuld sind diese Regulierungen, die haben Überhand genommen und man wird gelöchert mit Fragen, die keinen was angehen sollten».

Er drückt mir die Kontoeröffnungsunterlagen in die Hand: «Darf ich Sie bitten, das anzuschauen? Ich fülle sie dann aus, wenn Sie mir das ok geben».

Ich vergewissere ihm, das zu tun und kurz bevor er in das Auto einsteigt schüttelt er, sichtlich genervt, nochmals den Kopf: «Schauen Sie, viele meiner Geschäftspartner fangen an, oder haben angefangen, den Finanzplatz Schweiz zu meiden. Sie haben nichts zu verbergen, wollen aber nicht Dinge preisgeben, die in den Bereich des Privaten fallen. Wir haben einst Kolumbien verlassen, weil es keinen Rechtstaat gab, zu viele Kontrollen, zu viel Überwachung, zu viel Willkür. Und jetzt das. Und noch schlimmer: der Staat 53 macht sich hier nicht mal mehr die Mühe, diese Informationen selber zu sammeln. In Südamerika haben die Geheimdienste diese Informationen lange selber gesammelt, hier aber verpflichtet der Staat die Privaten, also die Banken, diese Daten zu sammeln. Und ich zahle noch dafür, denn die Kosten werden an mich weitergereicht. Das ist doch verrückt, für seine eigene Überwachung zahlen zu müssen.»

K: «Ich bin nicht auf LinkedIn, auch nicht auf Facebook oder so.»

B: «Ja, das wissen wir, deshalb die Bitte um einen Lebenslauf.»

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von Dimitrios Karathanassis
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