Im Übrigen gilt die Unschuldsvermutung

Marcel Alexander NiggliIm Übrigen gilt die UnschuldsvermutungContraLegem2018172

Im Übrigen gilt die Unschuldsvermutung

Marcel Alexander Niggli

72 Wir alle kennen es: Da wird ausführlichst über ein Delikt berichtet und über einen Menschen, der verdächtig wird, es begangen zu haben. Die Medien tun ihre Arbeit und stellen Vermutungen an, schildern erschütternde Details und fragen die Nachbarn des Verdächtigen, ob sie sich das erklären können. (Immer natürlich lautet die Antwort Nein, und zwar nicht, weil Nachbarn sich gegenseitig nicht mehr wahrnehmen oder beobachten, sondern schlicht deshalb, weil auch ein Höchstkrimineller, zu 99% seiner Zeit eben keine Delikte begeht, sondern Müll runterbringt, Milch kocht oder Cervelats grilliert).

Die Berichterstattung wird sich entsprechend auf möglichst farbige Details konzentrieren, das Leben des Verdächtigen durchleuchten und ihn auch sonst genau so behandeln, als wäre bereits entschieden, dass er der Täter ist. Immer enden solche Berichte mit der obligaten Feststellung, natürlich gelte die Unschuldsvermutung. Die Tatsache aber, dass dies gesagt wird, belegt gerade das Gegenteil. Nichts, was sich versteht, muss ausdrücklich gesagt werden. Vor Gericht etwa, wird diese Aussage kaum je zu hören sein. Genau so gut, könnten mediale Berichte auch schliessen mit dem Hinweis, selbstverständlich gelte die Rechtstaatlichkeit weiterhin.

«Der mediale Hinweis

ist nichts anderes

als ein Beleg dafür,

dass medial gerade

das Gegenteil,

nämlich eine Schuldvermutung gilt.»

Der mediale Hinweis ist nichts anderes als ein Beleg dafür, dass medial gerade das Gegenteil, nämlich eine Schuldvermutung gilt.

Das ist letztlich auch einsichtig, weil ein Medienbericht, der wahrheitsgemäss zugibt, dass die gültige Entscheidung darüber, ob jemand ein Delikt begangen hat oder nicht, vom Gericht gefällt werden wird, und dass man bis dahin schlicht nur spekuliert, was indes weder dieses angenehme Gruseln erregt, das sich verkaufen lässt, noch sonst interessant ist. Deshalb gilt: Je notwendiger der Hinweis auf die Unschuldsvermutung, desto sicherer, dass die Berichterstattung ebendiese Vermutung verletzt.

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