Fehler, Defizite und Inkonsistenzen in der jüngsten Entwicklung des schweizerischen Geldwäschereirechts

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Fehler, Defizite und In­konsis­tenzen in der jüngsten Entwicklung des schweizerischen Geld­wäscherei­rechts

Othmar Strasser

Steuergeldwäscherei – toter Buchstabe?

110 Am 1. Januar 2016 sind in der Schweiz die neuen Bestimmungen über Steuergeldwäscherei in Kraft getreten. Es handelt sich um Art. 305bis Ziff. 1 und 1bis StGB, Art. 14 Abs. 4 VStrR und Art. 9 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 GwG. Damit hat die Schweiz die Vorgaben der FATF («tax crimes») und der OECD umgesetzt. Der Schweizer Gesetzgeber hat keinen neuen, autonomen Straftatbestand für die Steuergeldwäscherei geschaffen, sondern einfach den Vortatenkatalog im System des DBG/StHG und des VStrR erweitert. An der bisherigen Konzeption der Geldwäscherei als Vereitelung der Einziehung nach Art. 70 StGB hat er nichts geändert. Voraussetzungen der Einziehungsvereitelung sind die Einziehungsfähigkeit (Tatobjekt der Geldwäscherei) und die Einziehbarkeit (Tathandlung). Das Problem der Lokalisierbarkeit und der Zuordnung von Steuereinsparungen (Tatobjekt), das z. B. nur bei Quellensteuern nicht besteht, hat die höchstrichterliche Rechtsprechung behoben (BGE 119 IV 10, 120 IV 365, 137 IV 145). Unlösbar ist indessen die Krux, dass der Fiskus deliktische Steuervorteile nicht einziehen kann, weshalb eine Vereitelungshandlung tatbestandsmässig nicht in Betracht kommen kann. Dies gilt sowohl für die direkten als auch für die indirekten Steuern. Strafrechtlich ist die Steuergeldwäscherei somit toter Buchstabe. Die Meldepflicht für Steuerdelikte gemäss Art. 9 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 GwG gilt es aber trotzdem unter Strafdrohung nach Art. 37 GwG zu erfüllen. Neue Risikofelder sind: Grundstückgeschäfte und personenbezogene Gesellschaftsstrukturen im KMU-Segment.

Strafrechtliche Risiken im neuen Verdachtsmeldesystem

Ausgenommen bei Terrorismusverdacht erfolgt eine Meldung nach Art. 9 GwG ohne unverzügliche Sperre der involvierten Vermögenswerte. Bis zur Vornahme der gesetzlich vorgeschriebenen Sperre nach Mitteilung der MROS an die Strafverfolgungsbehörden haben die Finanzintermediäre nach Art. 33 GwV-FINMA Kundenaufträge bis zu einer von ihnen selbst festzulegenden Schwelle auszuführen. Nach erstatteter Meldung gilt zur Vermeidung des Tipping-off-Risikos nach Art. 10a GwG ein – von einer Ausnahme abgesehen – striktes Informationsverbot. Bis zur Schwelle nach Art. 33 GwV-FINMA hat der Gesetzgeber das vom GwG geschützte Ermittlungsinteresse über das von Art. 305bis StGB geschützte Einziehungsinteresse gestellt. Mit dieser Inkonsistenz haben der Gesetzgeber und die FINMA ein nicht unbeachtliches strafrechtliches Risiko für die Finanzintermediäre geschaffen. Legen sie die Schwelle in der Rückschau des Strafrichters nicht 111 richtig fest, riskieren die Verantwortlichen bei zu tiefer Schwelle wegen Begünstigung nach Art. 305 StGB und bei zu hoher Schwelle wegen Geldwäscherei nach Art. 305bis StGB bestraft zu werden. Immerhin bleiben sie bei einer Überweisung ins Ausland künftig straffrei, wenn sie die Grenze nach Art. 33 GwV-FINMA richtig gezogen und den Paper-Trail gewahrt haben (BGE 144 IV 172).

Die Kritik an einer Ausdehnung des GwG und auf weitere Branchen, insbesondere auf Anwälte und Treuhänder ist allein schon aus Gründen der Effektivität berechtigt.

Verifizierung der wirtschaftlich berechtigten Person oder der wirtschaftlichen Berechtigung

Die FATF wirft der Schweiz im Länderbericht 2016 vor (S. 178 f. und 237), es existiere keine Pflicht zur systematischen Verifizierung der wirtschaftlich berechtigten Person, was mit Nr. 10 der FATF-Empfehlungen nicht vereinbar sei. Eine Analyse der Empfehlungen (samt Interpretationsnote Rz 5 lit. b zu Nr. 10) und des Länderberichts Schweiz 2016 ergibt, dass sich die FATF wohl mit einer Verifizierung der wirtschaftlich berechtigten Person zu begnügen scheint, was die Stellungnahme von Swiss Banking zur neuen Bestimmung von Art. 9a E-GwV-FINMA über die Pflicht zur Verifizierung der wirtschaftlichen Berechtigung bestätigt. Wirtschaftliche Berechtigung bedeutet mehr als nur (Identität der) wirtschaftlich berechtigten Person. Damit ist ein Sachverhalt bzw. eine Konstellation gemeint. Für eine solche Erweiterung fehlt es indessen an einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage im GwG, weshalb die entsprechende Bestimmung in der am 18. Juli 2018 veröffentlichten Fassung der GwV-FINMA fehlt. Sie ist Gegenstand der GwG- Vernehmlassungsvorlage des Bundesrates vom 1. Juni 2018 (Art. 4 Abs. 1 E-GwG). Danach muss der Finanzintermediär mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt die wirtschaftlich berechtigte Person feststellen und die erhaltenen Angaben überprüfen. Interessant festzustellen bleibt, dass in Art 6 Abs 1 lit. c VSB 08 noch die Rede war von einer Verifizierung, «ob die abgegebene Erklärung über die wirtschaftliche Berechtigung zutrifft». Diese Lösung wäre m.E. die sachgerechte.

Forderung nach mehr Verdachtsmeldungen und Aufhebung des Melderechts nach Art. 305ter StGB

Die FATF rügt die Schweiz im Länderbericht, dass die Ausübung der Meldepflicht zu zurückhaltend erfolge. Der überwiegende Teil der Meldungen an die MROS erfolgt auf der Grundlage von Art. 305ter Abs. 2 StGB. Die MROS ihrerseits fordert mehr Meldungen auch ohne Vorliegen eines begründeten Verdachts nach Art. 9 GwG. Diese Auffassung stützt auch die Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 4A_313/2008 E. 4.2.2.3). Gewollt sind ganz offensichtlich mehr Verdachtsmeldungen auch ohne begründeten Verdacht nach Art. 9 GwG. Ob mehr Meldungen an die MROS die Effektivität der Geldwäschereibekämpfung erhöhen, ist eine offene Frage. Fraglich ist insbesondere, wer die Filterfunktion für eine steigende Zahl von Meldungen (Deutschland erwartet jährlich 50 000 bei 5 000 Weiterleitungen an die Staatsanwaltschaften) erfüllt. In Deutschland soll dies die FIU (Meldestelle) sein, während die MROS die Erfüllung dieser Aufgabe von den Finanzintermediären (In der CH stammen 2017 91% von Banken) erwartet. Ohne mehr Befugnisse und Ressourcen der MROS ist eine Ausdehnung der Meldepflicht mit gleichzeitiger 112 Abschaffung des Melderechts in der Schweiz schlicht nicht praktikabel. Die Stossrichtung der Revision des GwG, die der Bundesrat am 1. Juni 2018 lanciert hat, ist eine Ausdehnung des GwG und auf weitere Branchen, insbesondere auf Anwälte und Treuhänder, die (Sitz-)Gesellschaften beraten bzw. gründen (Panama-Papers). Die Kritik an diesem Ansinnen ist allein schon aus Gründen der Effektivität berechtigt.

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