Terrorismus & juristisches Handwerk

Marcel Alexander NiggliTerrorismus & juristisches HandwerkMContraLegem201916465

Terrorismus & juristisches Handwerk

Marcel Alexander Niggli

64 Der Bundesrat will – laut seiner Medienmitteilung vom 14. September 2018 –bei der Terrorismusbekämpfung «das Strafrecht gezielt anpassen». Grundsätzlich erfreulich ist dabei, dass es gezielt erfolgen soll, weil eine planlose und erratische Anpassung kaum erwünscht dürfte. Sonst hält sich die Freude aber in engen Grenzen. In der Botschaft zur Genehmigung und zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie zur Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität vom 14. September 2018 (BBl 2018 6427) schlägt der Bundesrat nämlich u.a. eine Revision von Art. 260ter StGB vor, der u.a. um die sog. «terroristische Vereinigung» (Art. 260ter Abs. 2) erweitert werden soll.

Der bisherige Art. 260ter StGB verlangt als zentrales Abgrenzungskriterium der kriminellen von der nicht-kriminellen Organisation u.a., dass sie «ihren Aufbau und ihre personelle Zusammensetzung» geheim hält. Dieses Kriterium mag nun mehr oder weniger gut die kriminelle Organisation beschreiben, es passt aber zweifellos schlecht auf «terroristische Vereinigungen». Terrorismus taucht zwar in Art. 260quinquies StGB auf, doch wird in dieser Norm eben die Terrorismusfinanzierung geregelt und terroristische Vereinigungen nicht explizit erwähnt.

Terrorismus, so scheint es, stärkt zwar die moralischen Gefühle, schwächt aber die Qualität der juristischen Arbeit. Zwei Beispiele: (1) In grotesker Verkennung der eigenen Kompetenzen etwa hatte die damalige Eidgenössische Bankenkommission (EBK) in ihrer Verordnung (!) zum Geldwäschereigesetz ohne jede gesetzliche Grundlage schon 2003 bestimmt, dass terroristische Organisationen als kriminelle Organisationen im Sinne von Art. 260ter StGB gelten sollten (Art. 1 GwV EBK; ebenso Art. 5 GwV EBK: «terroristische oder eine andere kriminelle Organisation»), doch kann das natürlich nicht als gesetzliche Grundlage zählen. (2) In einem jüngst erschienen Standardkommentar finden sich folgende Passagen: «Demnach hindert das Erfordernis der Geheimhaltung nicht daran, eine Organisation als kriminell zu qualifizieren, obschon sie bzw. ihre Mitglieder die Tatsache, dass die kriminelle Organisation existiert, offenbaren» (Pajarola/Oehen/Thommen, Art. 260ter N 303, in: Ackermann (Hrsg.), Kriminelles Vermögen, Kriminelle Organisation, Zürich 2018). Zwei Randnoten weiter (N 305) heisst es dann: «Eng verstanden würde das Tatbestandsmerkmal der Geheimhaltung solche Organisationen von der Anwendbarkeit von Art. 260ter StGB ausnehmen. Angesichts der unbestrittenen Gefährlichkeit auch dieser Organisationen wäre ein solches Ergebnis jedoch nicht mit der ratio legis vereinbar.» Anders ausgedrückt: Zulasten eines Täters darf man das Kriterium eng auslegen, zu seinen Gunsten hingegen nicht. Das erscheint als doch arg nonchalante Vorwegnahme der Streichung des Kriteriums de lege ferenda, die etwas später vorgeschlagen wird.

Interessant ist nun, wie der Gesetzgeber mit dem Problem umgeht: Die bisherige Norm (Art. 260ter StGB) soll als Abs. 1 bestehen bleiben und 65 weiterhin die «kriminelle Organisation» erfassen. Neu soll ein Abs. 2 hinzukommen, der die terroristischen Vereinigungen erfasst. Trotzdem soll die Definition der kriminellen Organisation – da man ja schon dabei ist – erweitert werden, indem das Kriterium der Geheimhaltung, das eigentlicher Anlass der Schwierigkeiten war, gestrichen werden. Gestrichen werden soll also das seit seiner Einführung im Jahre 1994 bestehende Kriterium, obwohl die Argumente dagegen sich primär auf terroristische Vereinigungen beziehen, die ja neu separat und zusätzlich erfasst sein sollen.

Zuweilen sind Botschaften als nicht praktikabel bezeichnet worden. Wir schlagen deshalb vor, darauf zu verzichten.

Und wie lautet wohl die Begründung für diese Merkwürdigkeit? Nun ganz einfach. Es gibt keine. Nach ein paar wenigen Zeilen (um genau zu sein: 7 Zeilen) mit Bemerkungen zur Norm und zum Kriterium der Geheimhaltung wird ausgeführt: «Es ist indessen nicht zu bestreiten, dass dieses gesetzliche Erfordernis der Geheimhaltung in der Lehre und Praxis zuweilen als nicht praktikabel bezeichnet worden ist. Der Bundesrat schlägt daher vor, auf dieses im geltenden Recht statuierte und damit grundsätzlich zwingende Typisierungsmerkmal zu verzichten.» Ach so. Na dann! Jetzt wird das verständlich: Zuweilen (!) ist das Kriterium als unpraktisch bezeichnet worden (als Beleg dient genau eine Quelle), deshalb streichen wir es jetzt. Na, wenn das keine Handwerks- und Argumentationskunst ist, was denn?

Wenn der Bundesrat seine Vorschläge auf immerhin beinahe 100 Seiten schon nicht begründen will, warum verzichtet er dann nicht ehrlich auf eine Begründung, statt so zu tun, als gäbe er eine. Zuweilen sind Botschaften als nicht praktikabel bezeichnet worden. Wir schlagen deshalb vor, besser ganz darauf zu verzichten.

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