Wider die Risikoerhöhungstheorie

Stefan MaederMarcel Alexander NiggliWider die RisikoerhöhungstheorieMContraLegem201912933

Wider die Risikoerhöhungstheorie

Stefan Maeder / Marcel Alexander Niggli

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Worum geht es?

Ein strafrechtlicher Vorwurf gründet prinzipiell in der Verknüpfung eines bestimmten Verhaltens mit seiner Aussenwirkung. Mit Aussenwirkung ist dabei nicht der «Erfolg» im technischen Sinne gemeint, denn der stellt natürlich eine solche Aussenwirkung des Verhaltens dar, nur bezeichnet der Begriff eben einzig diejenige Aussenwirkung, die vom Tatbestand selbst genannt wird. Vorliegend ist aber jede Aussenwirkung gemeint, und zwar auch dort, wo von Erfolg die Rede ist. Wird ausschliesslich auf die Folgen eines Verhaltens abgestellt, so lässt sich zwar eine Haftung nicht aber ein Vorwurf begründen, wodurch der Unterschied von Strafrecht und Haftpflichtrecht eingeebnet wird. Wird umgekehrt ausschliesslich auf das Verhalten abgestellt (also ohne Bezug zu seinen Aussenwirkungen), so lässt sich ein Vorwurf nur mit der Regelverletzung selbst legitimieren, also eigentlich mit blosser Herrschaft: Strafbar wird, wer die Regel verletzt, weil er sie verletzt. Das aber bildet eine derart schwache Begründung, dass zumeist – selbst dort, wo sie eigentlich nicht erkennbar ist – eine Aussenwirkung hypothetisch konstruiert wird, indem diese Wirkung gar nicht eintreten, sondern bloss möglich sein muss. Ohne Bezug zu diesen (hypothetischen) Auswirkungen lassen sich weder Sorgfaltspflichten legitimieren, noch Verletzungen dieser Pflichten vorwerfen.

Ist Zentrum und Basis des strafrechtlichen Vorwurfes die Verknüpfung eines Verhaltens mit seiner Aussenwirkung, so ist auch klar, dass die blosse natürlich-kausale Verknüpfung nicht genügen kann, weil sie schlicht zuviel erfasst. Natürlich-kausal sind auch unsere Eltern für alles, was wir tun und lassen, verantwortlich, denn sie lassen sich nicht wegdenken, ohne dass auch alles, was wir anstellen, entfiele. Dieses Ungenügen der natürlichen Kausalität lässt sich bei Vorsatzdelikten ohne Schwierigkeit über den Vorsatz korrigieren bzw. einschränken. Bei Fahrlässigkeitsdelikten hingegen ist das nicht so einfach. Wie eben erwähnt, vermag die Verletzung einer Sorgfaltspflicht, die den (verpönten) Erfolg nicht bewirkt, einen strafrechtlichen Vorwurf nicht zu begründen, weil dieser Vorwurf eben auf der Verknüpfung von Verhalten und Erfolg basiert. Selbst wenn die (unvorsichtige) Handlung für den Erfolgseintritt natürlich-kausal war, kann das nicht genügen, weil die blosse Verletzung einer Sorgfaltspflicht per se keinen Vorwurf bzw. keine Strafbarkeit zu begründen vermag. Es reicht also nicht aus, einerseits eine Sorgfaltspflichtverletzung zu haben und andererseits einen durch die Handlung kausal bewirkten Erfolg, wenn sie nicht verknüpft sind. Es muss der eingetretene Erfolg gerade Auswirkung der unerlaubten Gefährdung bzw. des unerlaubten Risikos darstellen, das durch die Verletzung der Sorgfaltspflicht geschaffen wurde. Vorausgesetzt ist also ein sog. Risiko- oder Pflichtwidrigkeitszusammenhang. Zu fragen ist: Wäre der Erfolg ebenso eingetreten, wenn der Handelnde sich sorgfältig und innerhalb des erlaubten Risikos verhalten hätte?

Die Beispiele, anhand derer die Problematik diskutiert wird, sind jeweils folgender Art:

30 Ein Autofahrer fährt betrunken, als ein Fussgänger völlig überraschend die Strasse betritt. Der Autofahrer überfährt ihn und fügt ihm damit tödliche Verletzungen zu. Wäre der Erfolg auch eingetreten, wenn der Autofahrer nüchtern gewesen wäre (bzw. im Bereich des erlaubten Risikos Alkohol konsumiert gehabt hätte)?

Ein Lastwagen überholt mit ungenügendem seitlichem Abstand einen betrunkenen Velofahrer. Der erschrickt, kommt zu Fall, gerät unter die Räder des Lastwagens und wird getötet. Wäre der Erfolg auch eingetreten, wenn der Lastwagenfahrer einen (im Sinne des erlaubten Risikos) genügenden seitlichen Abstand während seines Überholvorgangs eingehalten hätte (vgl. BGHSt 11, 1 ff.)?

Ein Gutachter stellt einer Person nach unsorgfältiger Untersuchung eine Unbedenklichkeitserklärung aus, womit sie ihre von den Behörden beschlagnahmte Pistole zurückerlangt. Später verletzt sie mit dieser Waffe einen Menschen schwer (vgl. BGE 135 IV 56). Wäre der Erfolg auch eingetreten, wenn der Gutachter sorgfältig untersucht hätte?

Leicht erkennbar ist, dass diese Fragen ein hypothetisches Urteil verlangen: Was wäre gewesen, wenn es anders gewesen wäre? Damit sind natürlich Unsicherheiten verbunden. Zum Umgang damit haben sich in der Doktrin primär zwei Positionen entwickelt: Die Wahrscheinlichkeits- und die Risikoerhöhungstheorie.

Die Risikoerhöhungstheorie erfreut sich v.a. im deutschen Schrifttum zunehmender Beliebtheit. Vereinzelt findet sie allerdings auch in der schweizerischen Literatur, manchmal gar mit der Behauptung, die Risikoerhöhungstheorie sei in der Schweiz herrschend und (zu unserer besonderen Freude) werde auch von den Autoren dieses Beitrags vertreten. Die erste Behauptung ist höchst zweifelhaft, nicht nur weil niemand so genau weiss, was «herrschende Meinung» genau sei, sondern weil die Lehre durchaus uneinig ist, und die Rechtsprechung die Wahrscheinlichkeitstheorie vertritt, gelegentlich aber inhaltlich Risikoerhöhungsargumente vorbringt. Die zweite Behauptung ist schlicht unzutreffend: Wir halten die Risikoerhöhungstheorie nicht nur für falsch, sondern für verfassungswidrig und unzulässig (das haben wir bereits dargelegt in Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Strafrecht, Basler Kommentar, 4. Aufl., Basel 2019 [nachfolgend BSK StGB4], Art. 12 N 118 ff., wo sich auch ausführliche Belegstellen zu Literatur und Praxis finden).

Wider die Risikoerhöhungstheorie

Nach der in Deutschland von Roxin entwickelten Risikoerhöhungstheorie (von der es inzwischen gerade in Deutschland verschiedene Spielarten gibt) ist für die Annahme eines Risikozusammenhangs zwischen Sorgfaltspflichtverletzung und eingetretenem Erfolg nur vorausgesetzt, dass die fragliche Handlung das Risiko der Erfolgsherbeiführung ex post betrachtet wenigstens gesteigert hat. Regelmässig wird dabei von «verbotener Handlung» gesprochen, obwohl natürlich die blosse Sorgfaltswidrigkeit, die keine Schäden verursacht, nicht «verboten» ist, sondern es eben erst wird, wenn sie den tatbestandsmässigen Erfolg bewirkt. Eine Ausnahme besteht nur dort, wo bereits das blosse Verhalten strafbar gemacht wird, weil es in sich als Gefahr definiert wird (abstraktes Gefährdungsdelikt).

Nach der Risikoerhöhungstheorie ist mithin der Nachweis, dass bei einem Verhalten innerhalb des erlaubten Risikos der tatbestandsmässige Erfolg ausgeblieben wäre, schlicht nicht notwendig. Somit ist auch irrelevant, ob gerade das – durch sorgfaltswidriges Verhalten geschaffene – unerlaubte Risiko den tatbestandsmässigen Erfolg bewirkt hat (vgl. die Nachweise bei BSK StGB4-Niggli/Maeder, Art. 12 N 123). Das widerspricht nun aber ohne jeden Zweifel dem Gesetz: So ist bspw. nach Art. 117 StGB strafbar, wer «fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht», und nicht, wer mit seiner Unsorgfalt das Todesrisiko für einen Menschen signifikant erhöht hat. Art. 12 Abs. 3 StGB statuiert, dass ein Delikt fahrlässig «begeht (…), wer die Folge seines Verhaltens aus pflicht- 31 widriger Unvorsicht nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt.» Der Wortlaut impliziert den Zusammenhang zwischen der Fahrlässigkeit bzw. Sorgfaltspflichtverletzung und dem Erfolgseintritt («die Folgen»). Der eingetretene Erfolg muss also – anders, als die Risikoerhöhungslehre behauptet – gerade die Verwirklichung des aus dem sorgfaltswidrigen Verhalten resultierenden Risikos sein, die Schaffung eines blossen Risikos genügt nicht.

Wir halten die Risikoerhöhungstheorie für gesetzeswidrig und falsch.

Einer Argumentation gegen die Risikoerhöhungstheorie aufgrund des Wortlautes von Art. 12 StGB kann man natürlich relativ leicht zu begegnen suchen, was bspw. Jenny in der zweiten Auflage des Basler Kommentars zum Strafrecht (BSK StGB2-Jenny, Art. 12 N 99) denn auch folgendermassen getan hat: Er argumentierte, dass die Formulierung von Art. 12 Abs. 3 StGB nur besage, dass der Täter den Erfolg verursacht haben müsse, der Erfolg also «eine Folge seines Verhaltens» sein müsse, wobei die Haftung auf pflichtwidrig unvorsichtiges Handeln eingeschränkt werde. Zur Art des erforderlichen Zusammenhangs zwischen (unerlaubtem) Risiko und Erfolg äussere sich die Bestimmung nicht. Das aber geht fehl. Mit dem Argument, der Gesetzestext sage nichts zur Art des erforderlichen Zusammenhanges zwischen Verhalten und Erfolg, könnte nämlich ebensogut vertreten werden, selbst eine blosse Erhöhung des Risikos sei nach dem Wortlaut unnötig. So verstanden erfasst Art. 12 Abs. 3 StGB – ohne Beschränkung – alle natürlich-kausal verursachten Folgen, sofern nur irgendwo eine Unvorsicht erkennbar war, selbst wenn diese für das Ergebnis ganz offensichtlich keine Rolle gespielt hat. Das immerhin dürfte aber kaum jemand ernsthaft vertreten. Natürlich kann man einen Popanz aufbauen und gegen die sog. «Wortlautgrenze» und den «weitest möglichen Wortsinn» argumentieren, nur geht das – wie gezeigt – am Problem vorbei und führt zweifellos nicht zur Risikoerhöhungstheorie, denn problematisch ist eben nicht der Wortlaut, sondern dessen Sinngehalt. Fraglich ist mithin, was die «Folgen» eines Verhaltens meint. Und dies lässt sich am besten wohl am konkreten Fall erkennen: Die Teilnahme am Strassenverkehr erhöht das Risiko, getötet zu werden (und zu töten), aber es ist zweifellos weder eine Selbst- noch eine Fremdtötung. Zwischen der Erhöhung des Risikos eines Erfolgseintrittes und dem Verursachen dieses Erfolges besteht mithin ein Unterschied. Zu erklären wäre deshalb, warum dieser an sich bestehende Unterschied in concreto irrelevant sein sollte. Und dies lässt sich sicherlich nicht aus dem Wortlaut ableiten, sondern muss sich aus der Logik des Vorwurfes ergeben:

Ebenso wie das vorsätzliche, verlangt auch das fahrlässige Erfolgsdelikt einen Kausalzusammenhang zwischen Verhalten und Erfolg. Die natürliche Kausalität ist dabei in keinem der beiden Fälle ausreichend, weil sie viel zu viel erfasst und nicht erlaubt, die Verantwortung auf spezifische Verhaltensweisen einzuschränken (so ist bspw. die Zeugung der Täters selbstverständlich natürlich-kausal für das von ihm später begangene fahrlässige Körperverletzungsdelikt im Strassenverkehr, ebenso wie die Zeugung der beim Unfall verletzten Person). Das Ungenügen der natürlichen Kausalität fällt beim vorsätzlichen Erfolgsdelikt kaum auf, weil die Myriaden von Sachverhalten, die allesamt für den Erfolg natürlich kausal sind, durch den Vorsatz beschränkt werden, der ja nicht zufällig Namensgeber dieser Deliktskategorie ist und ohnehin die eigentliche Basis des strafrechtlichen Vorwurfes bildet. Nur die davon erfassten Konstellationen und Zusammenhänge sind vorwerfbar. Analoges gilt beim Fahrlässigkeitsdelikt: Ein natürlicher Kausal- 32 zusammenhang allein erfasst wie beim Vorsatzdelikt auch hier prinzipiell zu viel. Der strafrechtliche Vorwurf geht gerade nicht auf die pflichtwidrige Unsorgfalt selbst (auch wenn das fälschlicherweise hin und wieder behauptet wird), sondern auf gerade diejenige Unsorgfalt, die den verpönten Erfolg bewirkt hat. Wollte man das anders sehen, müsste die Verletzung der Sorgfaltspflicht bestraft werden, auch wenn kein Erfolg eintritt, also eine Art Versuchsstrafbarkeit beim Fahrlässigkeitsdelikt anerkannt werden. Das wird mit guten Gründen nicht getan. Hält der Gesetzgeber gewisse Sorgfaltsregeln für besonders wichtig, muss er sich, soll deren blosse Verletzung Strafe nach sich ziehen, mit abstrakten Gefährdungsdelikten behelfen. Damit ist aber bereits gesagt, dass umgekehrt nicht jede Sorgfaltspflichtverletzung relevant sein kann, nur weil ein Erfolg eingetreten ist. Relevant ist die Sorgfaltspflichtverletzung nur, wenn zwischen ihr und dem Erfolgseintritt ein Zusammenhang besteht.

Leicht zu erkennen ist das Fehlen dieses Zusammenhangs in Fällen, wo man im Rahmen einer Beweiswürdigung zum Schluss kommt, dass unsorgfältiges durch sorgfältiges Verhalten gedanklich ersetzt werden kann und der Taterfolg dennoch sicher nicht entfällt. Hier kann dessen Existenz nicht von der Bedingung der Unsorgfalt abhängig sein – es fehlt am Zusammenhang von Pflichtwidrigkeit und Erfolgseintritt. In diesen Fällen dürften auch die Vertreter der Risikoerhöhungstheorie die Fahrlässigkeit ausschliessen.

Eine Differenz offenbart sich in denjenigen Fällen, wo bei gedanklicher Ersetzung des unsorgfältigen durch sorgfältiges Verhalten der Erfolg vielleicht entfällt, vielleicht aber auch nicht. Hier weiss man nur, dass ein Erfolg natürlich-kausal verursacht und dass ein unerlaubtes Risiko geschaffen wurde, aber man weiss eben nicht, ob effektiv ein Zusammenhang zwischen diesem Risiko und dem Erfolgseintritt bestand. Man weiss also auch nicht, ob der Erfolg fahrlässig verursacht wurde. Man weiss nur, dass der Täter zwei Dinge getan hat: erstens einen Erfolg natürlich-kausal verursacht und zweitens ein Risiko erhöht, eine Gefahr geschaffen. Soll das bereits eine fahrlässige Tötung oder fahrlässige Körperverletzung sein, so macht man aus diesen Erfolgs- Gefährdungsdelikte, was nicht nur den Gesetzestext offensichtlich missachtet, sondern mit der Gleichsetzung von Risikoerhöhung und Verursachung den strafrechtlichen Vorwurf letztlich einzig vom Bestehen irgendeiner Pflichtwidrigkeit abhängig macht. Der Erfolg mutiert zu einer objektiven Strafbarkeitsbedingung.

Solange wir keine bessere dritte Theorie haben, ist deshalb mit der Rechtsprechung (jedenfalls tut sie das meist) und Teilen der Lehre der sog. Wahrscheinlichkeitstheorie zu folgen. Sie macht die Zurechnung des Erfolgs davon abhängig, dass er, hätte der Täter sorgfaltsgemäss gehandelt, «mit an Sicherheit grenzender» oder doch «mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit» ausgeblieben wäre (s. nur BGE 130 IV 7, 11; 135 IV 56, 65).

Im angeführten Beispiel des betrunkenen Autofahrers führt das – anders als nach der Risikoerhöhungstheorie – zu dessen Entlastung bzw. Freispruch: Denkt man sich nämlich des Fahrers Alkoholisierung weg, stellt ihn sich also nüchtern vor und kommt dann zum Schluss, dass er diesfalls wegen besserer Reaktionszeiten fähig gewesen wäre, durch früheres Abbremsen nur das «Risiko» des Unfalles zu vermindern, die tödlichen Verletzungen aber nicht sicher zu vermeiden, so wird schon alleine daraus deutlich, dass der fragliche Erfolg, dessen Verursachung die Strafbarkeit auslöst, jedenfalls in dubio gerade dennoch eintritt, von der in Frage stehenden Bedingung der Alkoholisierung also in seiner Existenz nicht berührt wird. Damit ist eine Verurteilung für ein Verletzungsdelikt ausgeschlossen.

Diese Überlegungen scheinen uns leicht nachvollziehbar. Doch weshalb wird die Risikoerhöhungstheorie dennoch von zahlreichen Stimmen in der Literatur vertreten? Der Grund für ihre Existenz und Beliebtheit ist letztlich nicht in 33 der Vorstellung über den Begriff der Erfolgsverursachung durch Pflichtwidrigkeit zu finden, sondern in kriminalpolitischen Erwägungen – man fürchtet zu viele Freisprüche, wenn der Nachweis gemäss der Wahrscheinlichkeitstheorie verlangt wird. Bei nicht ausräumbarer Unsicherheit oder eben Zweifeln will man offenbar dennoch wegen des Fahrlässigkeitsdelikts verurteilen können, weil man den Erfolgseintritt und die Sorgfaltspflichtverletzung skandalös findet, deren Relevanz für jenen aber nicht mit Sicherheit zu belegen vermag. Letztlich geht es also um ein als störend empfundenes Beweisproblem, dessen «Lösung» nicht offen als Ausnahme zum Grundsatz in dubio pro reo, sondern kaschiert im materiellen Strafrecht versucht wird. Die Risikoerhöhungstheorie entscheidet letztlich die Zweifel, was bei sorgfältigem Verhalten geschehen wäre, zu Lasten des Täters und macht ihn damit für einen Verletzungserfolg haftbar, obschon nicht die Verletzung als Folge einer unerlaubten Risikoschaffung, sondern nur die Schaffung dieses Risikos und damit eine Gefährdung nachgewiesen wird.

Die Vertreter der Risikoerhöhungstheorie widersprechen dem natürlich und führen an, es gehe nicht um die Klärung prinzipiell behebbarer Zweifel über das Vorhandensein oder Fehlen einer Tatsache, sondern um ein Urteil über hypothetische Geschehensabläufe, was sich immer nur als Wahrscheinlichkeitsaussage formulieren lasse, die keiner Beweisführung zugänglich sei (vgl. BGE 116 IV 306, 311). Für sie reicht deshalb allein schon aus, dass die sorgfaltswidrige Handlung das Risiko signifikant gesteigert hat. Im Falle des alkoholisierten Autofahrers genügt danach, dass er – im Vergleich zum nüchternen – möglicherweise später gebremst und dadurch die Chancen des Opfers, den Unfall zu überleben, vermindert hat. Erst wenn sich Zweifel ergeben, ob der Täter das Risiko effektiv gesteigert bzw. die Chancen des Opfers tatsächlich verschlechtert hat, werden sie ihm zugutegehalten und eine Haftung ausgeschlossen (z.B. Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I: Die Straftat, 4. Aufl., Bern 2011, § 9 N 42). Doch auch hier wird deutlich: Es geht dann nicht um Zweifel an der Relevanz der Sorgfaltspflichtverletzung hinsichtlich Erfolgsverursachung, sondern nur hinsichtlich der Begründung oder Erhöhung des Risikos für das Angriffsobjekt, also ob der Unvorsichtige überhaupt ein Risiko schafft bzw. erhöht. Sobald diese Risikoschaffung oder -erhöhung bejaht wird, werden alle weiteren Unsicherheiten zulasten des Beschuldigten entschieden. Das ist schlicht abzulehnen.

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Wider die Risikoerhöhungstheorie
von Stefan Maeder und Marcel Alexander Niggli
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