Gesinnungsstrafrecht & Terrorreisen

Marcel Alexander NiggliGesinnungsstrafrecht & TerrorreisenSContraLegem201913839

Gesinnungsstrafrecht & Terrorreisen

38 Mit der Botschaft zur Genehmigung und zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie zur Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität vom 14. September 2018 (BBl 2018 6427) schlägt der Bundesrat einen neuen Art. 260sexies Strafgesetzbuch vor, der u.a. folgenden Passus enthalten soll:

1 Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer im Hinblick auf die Verübung eines Gewaltverbrechens, mit dem die Bevölkerung eingeschüchtert oder ein Staat oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen genötigt werden soll:

c. eine grenzüberschreitende Reise unternimmt in der Absicht, eine solche Straftat zu begehen, sich daran zu beteiligen oder sich dafür ausbilden zu lassen.

Man fragt sich schon, ob der Bundesrat weiss, was er tut. Das ist eine vollständige Subjektivierung der Strafbarkeit, also ein vollständiges Abstellen auf bloss subjektive Elemente, wie wir es seit den Zeiten vor der Aufklärung nicht mehr kannten. Es handelt sich dabei nämlich nicht um eine blosse Vorverlagerung der Strafbarkeit. Das würde zutreffen etwa bei konkreter Gefährdung im Verhältnis zu Verletzung, oder bei abstrakter Gefährdung im Verhältnis zu einer konkreten Gefährdung. In diesen Fällen wird nicht auf eine konkrete Aussenwirkung einer Handlung abgestellt, sondern auf die Handlung selbst. Dabei ist aber das subjektive Ziel desjenigen der handelt, gleichgültig. Ob ich mit guter oder böser Absicht viel zu schnell fahre, ändert an der Erfüllung des Tatbestandes nichts. Die Strafbarkeit entfernt sich also von der Schädigung.

Medienmitteilung des Bundesrates: «Terrorismusbekämpfung: Bundesrat passt Strafrecht gezielt an»

Ganz anders hier: Nicht nur entfernt sich die Strafbarkeit weitestmöglich von einem Schaden, indem ein (objektiv beobachtbares) Verhalten mit Strafe bedroht wird, bei welchem ein Schaden nicht auszumachen ist, denn die rein abstrakte Möglichkeit kann definitionsgemäss selbst keinen Schaden darstellen, sie ist ja abstrakt, d.h. losgelöst von den konkreten Umständen, kann also auch nicht die Möglichkeit einer Schädigung darstellen (wie die konkrete Gefahr), sondern bloss die Möglichkeit der Möglichkeit einer Schädigung. Grundsätzlich aber enthält alles Vorstellbare die Möglichkeit der Möglichkeit einer Schädigung. Es handelt sich also vorliegend nicht (nur) um die Entfernung der Strafbarkeit (bzw. des strafbaren Verhaltens) von einer Schädigung, also nicht um eine blosse Vorverlagerung der Strafbarkeit (wie zweifelhaft das auch immer sein möge), sondern um eine eigentliche Subjektivierung der Strafbarkeit selbst, d.h. um das Abstellen alleine auf das Subjektive. Nicht das Unternehmen einer Reise soll strafbar werden, sondern dies zu tun mit einem bestimmten Ziel, einer bestimmten Absicht. Ohne diese Absicht bleibt das Reisen völlig legal. Bestraft wird also schlicht die Absicht, oder 39 eben die Gesinnung. Vorgeschlagen wird also ein Gesinnungsstrafrecht.

Kommt noch folgende Merkwürdigkeit hinzu: Nach dem deutlichen Gesetzestext soll Reisen (auch mit terroristischer Absicht) nur dann strafbar sein, wenn es grenzüberschreitend erfolgt. Das irritiert doch einigermassen. Ginge es – selbst im weitest möglichen vorstellbaren Sinn – um den abstrakten Schutz von Menschen vor einer möglichen Schädigung, so wäre das Kriterium des Grenzübertritts doch völlig fehl am Platz und überhaupt nicht zu begründen. Wenn nach der Norm strafbar wird, wer von Bern nach Konstanz reist, nicht aber, wer von Bern nur nach Basel reist, obwohl er in beiden Fällen dieselbe Absicht hegt, namentlich ein Gewaltverbrechen zu begehen, so kann die Gefährdung oder Schädigung von Menschen nicht den Strafgrund bilden. Die Gefährdung oder Verletzung von Menschen kann doch im Ausland nicht strafwürdiger erscheinen als im Inland. Wenn schon eine Unterscheidung getroffen werden wollte, so doch sicherlich die Gegenteilige, nämlich dass für das Schweizer Strafrecht Leben und Gesundheit der Bevölkerung auf dem eigenen Staatsgebiet bedeutsamer sind als im Ausland. Ganz simpel: Wenn schon Terroristen, dann bitte solche, die ausreisen, nicht solche, die hier bleiben. Die vorgeschlagene Strafbestimmung aber zielt auf das genaue Gegenteil.

Marcel Alexander Niggli

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