Mindeststrafen und Strafzwecke

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Mindeststrafen und Strafzwecke

Felix Bommer

Das Strafgesetz sieht zuweilen untere Strafrahmen vor, die über dem gesetzlichen Minimum dessen liegen, nach dem die konkrete Strafart verlangt, also mehr als drei Tage Freiheitsstrafe oder drei Tagessätze Geldstrafe (Art. 34 und 40 StGB, je Abs. 1). Solche erhöhten (nicht: die gesetzlichen) Strafminima werden üblicherweise «Mindeststrafen» geheissen. Sie kommen im Gesetz bei rund 20 % aller Tatbestände vor. Als Beispiele seien erwähnt die Mindeststrafen von einem Jahr bei Totschlag (Art. 113 StGB), qualifiziertem Betäubungsmittelhandel (Art. 19 Abs. 2 BetmG) oder Raserei (Art. 90 Ziff. 3 SVG), von zwei Jahren beim bandenmässigen Raub (Art. 140 Ziff. 3 StGB), von drei Jahren bei qualifizierter Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 3 StGB), von fünf Jahren bei der vorsätzlichen Tötung (Art. 111 StGB) oder dem lebensgefährlichen Raub (Art. 140 Ziff. 4 StGB) und von zehn Jahren beim Mord (Art. 112 StGB). Schon diese kurze Aufzählung zeigt, dass Mindeststrafen seit jeher Pfeile im gesetzgeberischen Köcher verschärfter Strafdrohungen waren. Gleichwohl scheint es, dass in der jüngeren Vergangenheit, als Heilsversprechen gegen real oder herbeigeredet steigende Kriminalitätsraten, vermehrt auf sie gesetzt wird (so auch Simmler/Weder, Zum Sinn und Unsinn von Mindeststrafen, ZStrR 2019, 199 ff., 200). So sieht der Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Harmonisierung der Strafrahmen vom 25. April 2018 (BBl 2018 2827, 2959 ff.; näher dazu Bommer, Anmerkungen zum Versuch der Strafrahmenharmonisierung, ZStrR 2019, 267 ff.) durchgehend eine halbjährige Mindeststrafe für gewerbsmässige Eigentums- und Vermögensdelikte vor (wo sie vorher 90 Tagessätze betrug), eine einjährige für die schwere Körperverletzung oder qualifizierte sexuelle Handlungen mit Kindern, und gar zwei Jahre soll sie neu bei der (tatbestandlich erweiterten) Vergewaltigung betragen. All dies ist Anlass genug, in groben Strichen näher zu skizzieren, ob und wie sich Mindeststrafen in das Gefüge der Strafzwecke eingliedern lassen, und es ist eine umso grössere Freude, dies in einer Festgabe zu tun, die Christian Schwarzenegger gewidmet ist, der sich Fragen des Sanktionenrechts stets vertieft und mit besonderem Engagement angenommen hat. Thema dieses kurzen Beitrages ist also nicht, zumindest nicht in erster Linie, ob und inwiefern Mindeststrafen tatsächlich einen Beitrag zur Senkung des Kriminalitätsaufkommens leisten können, auch nicht, ob und wie sich eine Heraufstufung von Straftaten (von Übertretungen) zu Vergehen oder (von Vergehen) zu Verbrechen begründen lässt, wie es nunmehr in der genannten Vorlage verschiedentlich vorgesehen ist (z.B. E-Art. 179septies oder E-Art. 237, 245 f. StGB), und ebenso wenig, unter welchen Voraussetzungen es angemessen ist, auf eine bestimmte Straftat einzig eine Freiheitsstrafe und nicht auch eine Geldstrafe anzudrohen (so nun E-Art. 187 StGB). Schliesslich kommt auch die Frage nicht zur Sprache, inwiefern fixe Strafuntergrenzen unter Gesichtspunkten der rechtsgleichen Ausübung richterlichen Ermessens geboten sein könnten. Vielmehr soll es darum gehen, Mindeststrafen in die Zwecke einzubetten, die mit der strafrechtlichen Ordnung, mit dem Strafausspruch und mit der Strafvollstreckung gemeinhin verbunden werden. 35

Mindeststrafen als Ausdruck von Mindestverschulden?

Mindeststrafen bedeuten, dass das Gericht – natürlich ohne Vorliegen von Schuldminderungsgründen – nicht auf eine Strafe unterhalb des Mindestmasses dessen erkennen darf, was der konkrete Tatbestand vorsieht. So kommt es etwa bei einem gesetzlich vorgesehenen Strafminimum von drei Jahren nicht in Betracht, eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren zu verhängen. Die Bedeutung dieses Befundes steht freilich im Streit: Er lässt sich als Festlegung des Gesetzgebers deuten, dass das Verschulden und damit die verschuldensadäquate Strafe nie unter dem Minimum dessen liegen kann, was der erfüllte Tatbestand vorsieht. Das Verschulden und die ihm angemessene Strafe ist in dieser Sicht, bei erfülltem Tatbestand, zum Vornherein auf eben diese Mindestdauer festgelegt. Eine verschuldensadäquate Freiheitsstrafe etwa von elf Monaten bei einer Vergewaltigung kann es denkmöglich nicht geben, sie muss in dieser Logik ausnahmslos zwölf Monate (oder mehr) betragen. Wenn der Gesetzgeber eine Mindeststrafe definiert hat, so ist nach dieser Auffassung qua definitionem ausgeschlossen, dass ihre Verhängung jenseits dessen läge, was der Verurteilte verdient hat. Zugespitzt: Mindeststrafen sind deshalb stets verschuldensadäquat, weil der Gesetzgeber bestimmt hat, dass sie es stets sind. Ein Widerspruch zum Schuldprinzip kann gar nicht erst entstehen. Mit dem Gesetz freilich lässt sich diese Auffassung nicht in Einklang bringen. Nach welchen Parametern das Verschulden zu bemessen ist, bestimmt sich nach dem Massstab der Bestimmung von Art. 47 StGB. Sie gibt die Kriterien vor, entlang deren das Gericht die verschuldensadäquate Strafe zu finden hat, und diese Kriterien kennen keine Grenze, unterhalb deren die Strafe nicht zu liegen kommen dürfte, um noch verschuldensangemessen zu sein. Wer das Verschulden für einen Tatbestand losgelöst vom Einzelfall für ein Mindestmass festlegen will, begeht einen Kategorienfehler, weil sich darüber losgelöst vom Einzelfall nicht sinnvoll sprechen lässt. Zu sagen, ein qualifizierter Raub enthalte ausnahmslos und per se ein Verschuldensmass, das eine Strafe unter zwei Jahren ausschliesse, ist sinnlos, wenn die Norm, welche vorgibt, wie dieses Mass näher zu bestimmen sei (Art. 47 StGB), gerade nicht an eine abstrakte, sondern an eine konkrete Betrachtungsweise, eben an die konkrete Tat des konkreten Täters, anknüpft. Die Frage, welche Strafe verschuldensadäquat sei, lässt sich nicht prognostisch (vom Gesetzgeber) unabhängig vom Einzelfall beantworten, vielmehr wird die Antwort retrospektiv nach den Kriterien von Art. 47 StGB erarbeitet. Die Höhe des Verschuldens ist nach der gesetzlichen Konzeption ein datum, das sich auf der Grundlage des zu beurteilenden Einzelfalles ergibt; es lässt sich nicht durch gesetzgeberischen Akt für den Einzelfall dekretieren. Kurz: Das Mass des Verschuldens in concreto ergibt sich aus des Täters Tat, nicht aus einer gesetzgeberischen Entscheidung.

All dies wird noch deutlicher, wenn man sich klar macht, dass in die Zumessung der Strafe auch präventive Gesichtspunkte einfliessen können (vgl. nur Jositsch/Ege/Schwarzenegger, Strafrecht II, Strafen und Massnahmen, 9. Aufl., Zürich 2018, 118; Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II: Strafen und Massnahmen, 2. Aufl., Bern 2006, § 6 N 65 ff.). Das bedeutet nämlich, dass sich eine konkrete Strafe, und damit auch eine Mindeststrafe, nicht allein aus dem Verschuldensmass herleiten lässt, sondern weiter etwa «die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters» (Art. 47 Abs. 1 StGB) zu berücksichtigten ist. Die konkrete Strafe kann also unterhalb dessen liegen, was einzig nach Verschuldensgesichtspunkten verdient wäre. Ein gesetzliches Strafminimum lässt sich damit nicht in Einklang bringen. Wenn das Gesetz dennoch Mindeststrafen vorsieht, so können sie jedenfalls nicht die Antizipation dessen darstellen, was noch gar nicht erhoben ist: das Ausmass des Verschuldens.

Dieser Befund hat Konsequenzen: Mindeststrafen sind solange unproblematisch, wie man sicher sein kann, dass überhaupt gar kein Fall vorstellbar ist, bei dem das Verschulden unter dem Mass dessen liegt, was der gesetzliche 36 Strafrahmen im Minimum vorsieht. Mit anderen Worten: Es muss sich ausschliessen lassen, dass bei erfülltem Tatbestand und ohne Schuldmilderungsgründe die Mindeststrafe in dem Tatbestand unangemessen hoch erscheint. Wie sich dies zuverlässig bewerkstelligen liesse, ist nicht ersichtlich. Wer kann sich schon die Palette an möglichen Fallkonstellationen so vollständig vorstellen, dass sich daraus verlässlich der Schluss ziehen lässt, die ganze Bandbreite sei jenseits der Mindeststrafe anzusiedeln. Man braucht nur den Fall, der verschuldensmässig gerade der Mindeststrafe entspricht, nochmals abzuschwächen, dann fällt er unter die Grenze. Ins Abstrakte gewendet: Es existiert keine «prästabilierte Harmonie» zwischen einer Mindeststrafe und der im Einzelfall angemessenen Strafe. Deshalb geht jede Mindeststrafe das Risiko ein, dass sie das gerichtliche Ermessen in einem Ausmass einschränkt, das es nicht mehr erlaubt, eine schuldangemessene Strafe auszufällen (ebenso Simmler/Weder, ZStrR 2019, 218). Je höher die Mindeststrafe, absolut und im Verhältnis zur Höchststrafe, angesetzt ist, desto höher ist dieses Risiko. Umgekehrt: Je tiefer die Mindeststrafe und je höher die Höchststrafe, desto geringer fällt die Wahrscheinlichkeit aus, dass im Einzelfall gegen das Schuldprinzip verstossen wird oder werden muss. Das bedeutet, dass sich Mindeststrafen nicht mit Blick auf das Verschulden des Täters begründen lassen: Sein Verschulden an der Tat kann darunter liegen, trotzdem darf das Gericht nicht darunter gehen. Es müssen andere Gründe sein, die den Gesetzgeber zur Festlegung von Mindeststrafen bewogen haben.

Spezialprävention?

Zunächst einmal kommen solche der Spezialprävention in Frage. Sie wären dann erklärungskräftig, wenn sich zeigen liesse, dass es in den Fällen, in denen das Gesetz Mindeststrafen androht, zur Verhinderung eines Rückfalls ausnahmslos angezeigt ist, die ausgesprochene Strafe nicht unter die Mindestgrenze fallen zu lassen. Eine vorsätzliche Tötung wäre also deshalb nie mit einer vollziehbaren Freiheitsstrafe unter fünf Jahren zu belegen, weil dann ein Rückfall droht, der bei einer fünfjährigen oder höheren Strafe nicht drohen würde oder zumindest nicht gleichermassen wahrscheinlich wäre. Das trifft offensichtlich nicht zu: Erstens ist, ex ante, kaum je klar, welche Dauer der Freiheitsstrafe einen Rückfall am zuverlässigsten verhindern würde, und zudem ist das Ausmass der Rückfallgefahr bekanntlich weniger von der Dauer des Freiheitsentzuges als solchen abhängig als davon, was während des Vollzuges mit dem Insassen geschieht. Und die Strafdauer wird auch gar nicht nach der Rückfallgefahr, sondern hauptsächlich nach dem Verschulden bemessen. Zweitens ist eine Mindeststrafe, die schon von ihrer Dauer her den bedingten Strafvollzug ausschliesst wie im Beispiel von Art. 111 StGB, auch dann zu verbüssen, wenn keine Rückfallgefahr besteht; es geht in diesem Fall also gar nicht um deren Senkung oder Ausschluss. Umgekehrt lässt sich nicht einmal generell sagen, eine Mindeststrafe mache den Verurteilten wenigstens während der Dauer ihrer Verbüssung unschädlich (so Jositsch/Conte, Mindeststrafen bei sexuellen Handlungen mit Kindern, AJP 2017, 368 ff., 376), denn dies ist keine Wirkung der Mindeststrafe als solchen, sondern ihres unbedingten Vollzuges. Aber die Mindeststrafe muss ja auch dann ausgesprochen werden, wenn die Legalprognose gut und der bedingte Vollzug zu gewähren ist. Mit andern Worten: Mindeststrafen haben nicht den Zweck der physischen Hinderung an erneuter Straftatbegehung (extra muros), weil sie auch dann verhängt werden, wenn diese Gefahr nicht besteht. Sie lassen sich unter keinem Titel spezialpräventiv begründen.

Generalprävention

Es bleibt als Erklärungsansatz nur die Überlegung, dass der Gesetzgeber mit der Mindeststrafe zeigen will und öffentlich kundtut, für wie bedeutsam er ein bestimmtes Unrecht, das ja Teil des Verschuldensurteils bildet (vgl. nur Stratenwerth, a.a.O., § 6 N 13 f.), einstuft (BBl 2018 2827, 2842; BVerfGE 105, 135, 164). Dieses – für sich gesehen fraglos legitime – Anliegen lässt sich in ein generalpräventives Raster 37 einordnen, freilich nicht in dem Sinne, dass man sich von Mindeststrafen eine erhöhte Abschreckungswirkung auf potentielle Täter verspricht: Wenn eine abschreckende Wirkung von angedrohten Strafen überhaupt schon zweifelhaft ist (vgl. nur Jositsch/Conte, AJP 2017, 376), dann ist es diejenige einer Erhöhung (bloss) der Mindeststrafe umso mehr, zumal eine solche nicht allgemein bekannt ist. Verstärkte Strafdrohung ist nicht gleichzusetzen mit verstärkter Normbefolgung. Generalpräventiven Zuschnitt hat das Anliegen jedoch insofern, als es sich an die Allgemeinheit richtet, aber nicht zur Abschreckung, sondern um ihr vor Augen zu führen, welchen Wert der Gesetzgeber den Rechtsgütern zuspricht, auf deren Verletzung oder Gefährdung er eine Mindeststrafe folgen lässt. Darin liegt ein klassisches Argument positiver Generalprävention: Gültigkeit und Tragweite der Norm durch eine entsprechende Strafdrohung zum Ausdruck zu bringen und dadurch einen Beitrag zur «positive[n] Verstärkung der Konformitätsvorstellungen» zu leisten (Jositsch/Ege/Schwarzenegger, a.a.O., 16).

Zweifelhaft bleibt indessen, ob sich der Unwert einer bestimmten Tat tatsächlich dadurch herausstellen lässt, dass man denjenigen Strafwert fix definiert, den die Reaktion auf die Tat nie unterschreiten darf. Denn dies bedeutete, die Schwere einer Tat durch das Minimum dessen zu verdeutlichen, das an Strafe auf sie folgen muss. Indessen liegt darin per definitionem nicht eine Hervorhebung der Schwere der Tat, sondern eine Umschreibung des leichtesten anzunehmenden Falles, der gerade nicht denjenigen repräsentiert, der dem Bedürfnis nach erhöhter Strafe Pate gestanden hat. Näher läge jedenfalls, der Tatschwere durch eine entsprechende Höchststrafe Ausdruck zu verleihen (kritisch insofern auch Seelmann/Wiprächtiger, Ausgekuschelt!?, AJP 2018, 734 ff., 746). Doch gibt es wohl Fälle, in denen diese beiden Parameter zusammentreffen, nämlich dann, wenn bereits, bei gleichzeitig hohem oberen Strafrahmen, das Strafminimum anzeigt, dass es sich um eine äusserst schwere Straftat handeln muss. Soweit diese Botschaft mit der Mindeststrafe verbunden ist, lässt sich ihr ein Sinn abgewinnen. Das ist bestimmt bei einer zehn- (z.B. Mord, Art. 112 StGB) oder fünfjährigen Mindeststrafe (z.B. vorsätzliche Tötung, Art. 111 StGB) der Fall, und auch noch bei einer dreijährigen wie bei einer qualifizierten Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 3 StGB) oder Brandstiftung (Art. 221 Abs. 2 StGB). Schon bei einer Untergrenze von einem Jahr Freiheitsstrafe ist dies nicht mehr gleichermassen klar: Hier finden sich zwar ebenso Fälle, die mit einer zehnjährigen (z.B. Totschlag, Art. 113, Vergewaltigung, Art. 190 StGB) oder gar zwanzigjährigen (z.B. Raub unter Mitführung [!] einer Schusswaffe, Art. 140 Ziff. 2 StGB) Obergrenze kombiniert sind, aber eben auch andere mit einer Begrenzung bei fünf Jahren, die man nicht oder kaum der Schwerkriminalität zurechnen würde, etwa die qualifizierte Sachbeschädigung (Art. 144 Abs. 3 StGB) oder die ungetreue Geschäftsbesorgung in Bereicherungsabsicht (Art. 158 Ziff. 1 Abs. 3 StGB). Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass schon eine Untergrenze von einem Jahr Freiheitsstrafe nicht mehr zwingend auf eine Deliktsschwere zurückverweist, die eine generalpräventiv zu verdeutlichende Mindeststrafe von einem Jahr als geboten erscheinen lässt. Mit anderen Worten: Straftaten mit einer Strafdrohung von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe dürften nicht zu denjenigen gehören, deren Schwere es gebieten würde, bereits eine erhöhte Mindeststrafe vorzusehen. Wenn gegen oben ein Maximum von fünf Jahren als ausreichend erscheint, lässt sich kaum mehr von einer Schwere der Tat sprechen, die auch durch eine einjährige Mindeststrafe zu indizieren wäre. Anders verhält es sich, wo die obere Grenze bei zehn oder mehr Jahren liegt: Dort kann eine ein- oder gar dreijährige Mindeststrafe tatsächlich Ausdruck der Schwere der Tat überhaupt sein. Aus der mittelbar (positiv) generalpräventiven Stossrichtung von Mindeststrafen ergibt sich somit, dass sie dort vertretbar sind, wo Generalprävention im Sinne von Normbekräftigung am dringendsten nottut, also bei sehr schweren und allerschwersten Delikten. Im Bereich da- 38 runter reicht es hingegen aus, wenn die Tatschwere durch eine hinreichend hohe Obergrenze des Strafrahmens angezeigt wird.

Folgerungen

Folgt man diesen Überlegungen, so wird zu fragen sein, ob es nicht sinnvoll sein könnte, einjährige Mindeststrafen bei denjenigen Verbrechenstatbeständen aufzuheben, die sie mit einer fünfjährigen Höchststrafe kombinieren; unter Gesichtspunkten der Generalprävention jedenfalls wäre dies die konsequente Lösung. Scheut man davor zurück, so scheint es jedenfalls empfehlenswert, auf Mindeststrafen von sechs Monaten Freiheitsstrafe (ganz) zu verzichten, wie sie im eingangs genannten Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Harmonisierung der Strafrahmen für gewerbsmässige Eigentums- und Vermögensdelikte (immer noch) vorgesehen sind. Und noch weniger Sinn hat es, beim sog. Aufruhr, der rottenhaften Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 Ziff. 2 Abs. 2 StGB), einem Vergehen mit angedrohter dreijähriger Freiheitsstrafe, die Mindeststrafe von 30 auf 120 Tagessätze Geldstrafe zu erhöhen; dasselbe gilt für die qualifizierte Gefangenenbefreiung (Art. 310 Ziff. 2 Abs. 2 StGB), deren Mindeststrafe von 30 auf 90 Tagessätze Geldstrafe steigen soll. Für die Zwecke positiver Generalprävention kommt es auf solche Untergrenzen nicht an. Damit bleibt als Fazit zu konstatieren, dass Mindeststrafen bei Tatbeständen mit einem tieferen oberen Schwellenwert als zehn Jahre Freiheitsstrafe zumindest in der Regel wenig sinnvoll sind. Schliesslich ist – abgesehen von den genannten Taten der Schwerstkriminalität – der Zielkonflikt zwischen Generalprävention auf der einen Seite und Schuldausgleich auf der anderen beim Gericht besser aufgehoben als beim Gesetzgeber: Der Einzelfall soll einzelfallweise und nicht losgelöst davon entschieden werden. Dies näher zu begründen bedürfte freilich einer eigenen Untersuchung, die in dieser Festgabe für Christian Schwarzenegger nicht zu leisten ist.

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von Felix Bommer
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