Schuld sind immer die anderen: Beobachtungen zur Persönlichkeit von Wirtschaftskriminellen aus der Praxis

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Schuld sind immer die anderen: Beobachtungen zur Persönlichkeit von Wirtschaftskriminellen aus der Praxis

Studien zu den Persönlichkeiten und Charaktereigenschaften von Wirtschaftskriminellen haben gezeigt, dass diese überwiegend männlich sind, regelmässig dem Kader angehören, sich auf dem Höhepunkt ihrer Karrieren befinden und einen guten Ruf geniessen. Im Prinzip somit alles Eigenschaften, die auch auf den Jubilar zutreffen!

Im Rahmen der Tätigkeit in der Strafverfolgung von Wirtschaftskriminalität lassen sich diese Faktoren und auch sonst immer wieder Ähnliches im Hinblick auf die Persönlichkeiten von Täterinnen und Täter beobachten. Die innere Haltung von Wirtschaftskriminellen spiegelt sich nicht nur in den Taten selbst, sondern regelmässig auch im Verhalten während den Untersuchungen und Verfahren.

Was Wirtschaftskriminelle regelmässig gemeinsam haben, ist, dass sie ihr Umfeld durch ihr freundliches, charismatisches Auftreten regelrecht zu blenden vermögen. So werden im Rahmen von Befragungen oft ähnliche Schilderungen über die Persönlichkeit von Wirtschaftskriminellen zu Protokoll gegeben und nicht selten werden diese paradoxerweise als sehr grosszügige und ehrliche Menschen beschrieben: «Der Beschuldigte ist eine sehr grosszügige Person, die immer für andere geschaut hat.» (Aussage eines Zeugen über einen Beschuldigten, der als Vermögensverwalter eigene Rechnungen im Umfang von CHF 250’000.00 mit Vermögenswerten von Kunden beglich, zu denen er zuvor über Jahre ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte). So ist es nicht erstaunlich, dass Warnsignale oder Anzeichen für delinquentes Verhalten nicht selten überhaupt nicht oder erst wenn es zu spät ist, bemerkt werden.

Weiter fällt auf, dass sich Wirtschaftskriminelle vielmals selbst keiner Schuld bewusst zu sein scheinen. Dies zeigt sich etwa an den Rechtfertigungsversuchen, welche immer wieder auffallend ähnlich ausfallen. In den Augen der Täterinnen und Täter ist die Schuld oft nicht bei ihnen, sondern vielmehr bei anderen oder in den äusseren Umständen zu suchen. Offenbar scheinen Wirtschaftskriminelle regelmässig der festen inneren Überzeugung zu sein, nichts falsch gemacht zu haben oder sie können sich nicht dazu durchringen, Verantwortung für Ihr Handeln zu übernehmen. Vielmehr scheinen sie sich oft selbst einzureden, dass der «Griff in die fremden Töpfe» legitim gewesen sei. Aussagen wie «Es ist einfach passiert», «Da gab es keinerlei Absicht, wenn, dann höchstens als eine Art kurzfristige Überbrückung der fehlenden finanziellen Mittel» werden immer wieder gemacht.

Selbst im Rahmen von abgekürzten Verfahren, welche nota bene von den Beschuldigten selbst beantragt werden müssen (Art. 358 Abs. 1 StPO), fällt die Anerkennung des Sachverhalts durch die Beschuldigten regelmässig schwer. Wohl aus Angst, das Gesicht zu verlieren, werden dann Aussagen zu Protokoll gegeben wie: «Im Wesentlichen ist es korrekt, aber ich kann mich nicht an die Details erinnern.» (Aussage eines Verwaltungsratspräsidenten einer Gesellschaft, welche Spendengelder sammelte und dabei rund 284 CHF 4.39 Mio. Spendengelder pflichtwidrig verbrauchte, anstatt diese an die angedachten Empfänger weiterzuleiten).

Schliesslich scheinen Wirtschaftskriminelle oft mehr ihre eigene Situation zu bedauern als Einsicht oder Reue zu zeigen oder Mitleid mit den Geschädigten zu haben, welche durch die Straftaten nicht selten um ihre Existenzgrundlage gebracht werden. So erklärte etwa eine ehemalige Relationship Managerin einer Bank, welche mit Hochrisikogeschäften rund CHF 40 Mio. Kundenvermögen verspekulierte, dass die Bank doch die Aufgabe gehabt hätte, sie besser zu kontrollieren, und sie damit früher aufgeflogen und der angerichtete Schaden wesentlicher geringer ausgefallen wäre.

Im Hinblick auf den Jubilar kann somit festgehalten werden, dass dieser zwar dem Profil des typischen Wirtschaftskriminellen entspricht (männlich, Kaderposition, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, guter Ruf, charismatisches Auftreten), doch zeichnet sich der Jubilar immerhin dadurch aus, dass er in seinem wissenschaftlichen Wirken immer die Verantwortung für sein Handeln (sprich seine Meinungen) übernommen hat und auch von kontroversen Themen nicht zurückgeschreckt ist.

Risikofaktoren sind letztlich nur Risikofaktoren und auch für den Jubilar gilt die Unschuldsvermutung!

Denise Schmohl-Sigrist

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