Versteckte Einführung einer Ausweispflicht

Nicolas ChardonnensVersteckte Einführung einer AusweispflichtMContraLegem202134953

Versteckte Einführung einer Ausweispflicht

Nicolas Chardonnens

Zu den gesetzlichen Grundlagen einer Identifikationspflicht im Zusammenhang mit dem COVID-Zertifikat

Zertifikatspflicht

49Aufgrund der epidemiologischen Lage und der Bettenbelegung auf den Intensivstationen hat der Schweizer Bundesrat am 8. September 2021 eine Ausweitung der Zertifikatspflicht beschlossen. Seit dem 13. September 2021 gilt in Restaurants, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie an Veranstaltungen in Innenräumen eine Zertifikatspflicht. Damit wird das Betreten von öffentlich zugänglichen Gebäuden wie Museen, Bibliotheken, Hallenbädern, sowie auch der Aufenthalt in Restaurants, Freizeit- und Sportbetrieben ohne Besitz eines gültigen Zertifikats untersagt.

Gültigkeit eines Zertifikats

Seit der Einführung des Covid-19-Zertifikats hat jeder Betreiber die Pflicht, die Echtheit und Gültigkeit des Zertifikats zu prüfen. Der jeweilige QR-Code muss mittels «COVID Certificate Check-App» gescannt werden. Nur so können die darin enthaltenen Informationen ausgelesen und die elektronische Signatur überprüft werden. Die prüfende Person sieht auf der «COVID Certificate Check-App» den Nachnamen, Vornamen, das Geburtsdatum und das Ergebnis der Gültigkeitsprüfung (grün = gültig, rot = ungültig). Aufgrund des Datenschutzes wurde auf ein Foto des Inhabers auf dem Zertifikat verzichtet. Gemäss Bundesamt für Gesundheit (nachfolgend BAG) muss die prüfende Person sicherstellen, dass der präsentierte QR-Code tatsächlich zur vorweisenden Person gehört. Deshalb muss ein Ausweisdokument mit Foto verlangt werden und es müssen die Angaben des Zertifikates damit verglichen werden. Betreffend Datenschutz bleibt offen, ob nun die Pflicht, einen Ausweis zu zeigen, diesem Zwecke mehr dient als das Covid-19-Zertifikat mit einem Foto zu versehen. Das Zertifikat ist danach nur dann gültig, wenn die Angaben auf dem Zertifikat mit dem vorgezeigten Ausweisdokument übereistimmen. Ist dies der Fall, darf die das Zertifikat prüfende Person die das Zertifikat vorweisende Person einlassen.

Ausweispflicht und Kompetenz zur Identitätsfeststellung

Im Gegensatz zu den allermeisten Ländern gibt es in der Schweiz keine allgemeine Pflicht, einen Ausweis auf sich zu tragen. In der Schweiz ist nämlich niemand verpflichtet, seine Identität nachzuweisen. Einzig die Polizei oder Personen, die durch Gesetz bevollmächtigt sind (bspw. Gewerbepolizei), dürfen nach einem Ausweis fragen. Falls die angehaltene Person keinen Ausweis auf sich hat, darf sie die Polizei zwecks Identitätsfeststellung auf den Polizeiposten mitnehmen, um ihre Identität abschliessend zu klären. Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts begründet die Tatsache, dass die Polizei die Möglichkeit und das Recht zu Identitätskontrollen hat, aber keine generelle Ausweispflicht.

50Mit der Einführung der Covid-19-Zertifikatspflicht scheint dies jedoch nicht mehr wirklich zu gelten. Es erscheint nun für die Mehrheit der Bevölkerung fast selbstverständlich, sich ständig ausweisen zu können und auch gegenüber beliebigen Personen ausweisen zu müssen, sei es für den Zutritt zu einem Nachtclub oder eben nur, um in einem Café etwas trinken zu können. Mit der Zertifikatspflicht wurde nämlich de facto in einem separaten Schritt eine allgemeine Ausweispflicht eingeführt. Wie dargelegt, ist ein Zertifikat nur gültig, wenn es mit einem Ausweis mit Foto verglichen werden kann. Die erste Konsequenz ist, dass sich nun jede Person über 16 Jahren bei alltäglichen Aktivitäten ausweisen muss. Die zweite Konsequenz aber ist, dass die Kompetenz zur Identitätsfeststellung nicht mehr einzig der Polizei zusteht, sondern auf beliebige Personen ausgeweitet wurde.

Bestünde dafür eine gesetzliche Grundlage, wäre dies natürlich nicht weiter von Belang. Falls dafür aber keine gesetzliche Grundlage besteht, müsste dieses Vorgehen des Bundesrates als versteckte Einführung der Ausweispflicht und als grenzenlose Ausweitung der Berechtigung zur Identitätsfeststellung qualifiziert werden.

Gesetzliche Grundlage

Covid-19-Gesetz

Für die Einführung einer Ausweispflicht mittels Covid-19-Zertifikats wäre das Covid-19-Gesetz als gesetzliche Grundlage naheliegend. In Art. 6a Covid-19-Gesetz wird folgendes festgehalten:

1 Der Bundesrat legt die Anforderungen an den Nachweis einer Covid-19-Impfung, einer Covid-19-Genesung oder eines Covid-19-Testergebnisses fest.

2 Der Nachweis ist auf Gesuch hin zu erteilen.

3Der Nachweis muss persönlich, fälschungssicher, unter Einhaltung des Datenschutzes überprüfbar und so ausgestaltet sein, dass nur eine dezentrale oder lokale Überprüfung der Authentizität und Gültigkeit von Nachweisen möglich ist sowie möglichst für die Ein- und Ausreise in andere Länder verwendet werden kann.

4 […]

5 […]

Hier wird also einzig geregelt, dass der Bundesrat die Anforderungen für den Nachweis eines Zertifikats festlegt sowie dass der Nachweis persönlich, fälschungssicher und unter Einhaltung des Datenschutzes überprüfbar sein muss. Auch mit einer günstigen Auslegung dieser Bestimmung ist eine gesetzliche Grundlage für eine Ausweispflicht nirgends ersichtlich. Sich auf diese vage Bestimmung zu stützen, um eine Ausweispflicht zu rechtfertigen, wäre schlicht falsch.

Epidemiengesetz

Gemäss Art. 40 EpG können die zuständigen kantonalen Behörden Massnahmen anordnen, um die Verbreitung übertragbarer Krankheiten in der Bevölkerung oder in bestimmten Personengruppen zu verhindern. Nach Art. 40 Abs. 2 lit. c EpG können sie das Betreten und Verlassen bestimmter Gebäude und Gebiete sowie bestimmte Aktivitäten an definierten Orten verbieten oder einschränken. Dies könnte in der Tat eine gesetzliche Grundlage darstellen. Dieser Gesetzesartikel richtet sich aber nur an die zuständigen kantonalen Behörden. Der Bundesrat kann sich nicht auf dieser Bestimmung stützen, um die Einführung einer generellen Ausweispflicht für die gesamte Schweiz zu rechtfertigen.

Covid-19-Verordnung Zertifikate

Versucht man trotzdem eine Grundlage für die Ausweispflicht zu finden, muss man auf die Covid-19-Verordnung (!) Zertifikate ausweichen. In Art. 29 Abs. 2 lit. c Ziff. 2 Covid-19-Verordnung Zertifikate wird festgehalten, dass die Angaben gemäss Anhang 1 (Name, Vorname, Geburtsdatum) dem Überprüfer erlauben, das vorgezeigte Zertifikat dem Inhaber zuzuordnen.

51Auch diese Bestimmung vermag nicht, eine generelle Ausweispflicht bzw. Ausweiskontrolle durch Private zu rechtfertigen. Sie besagt nämlich nur, dass sich die Angaben auf dem Covid-19-Zertifikat befinden müssen, damit eine Zuordnung zum Zertifikatsinhaber möglich wird. Weder aus dieser Bestimmung noch aus der Tatsache, dass der Bundesrat eine solche Verordnung erlassen hat, kann gefolgert werden, dass eine gesetzliche Grundlage für eine generelle Ausweispflicht bzw. Ausweiskontrolle besteht.

Analoge Anwendung der Bestimmungen zur Alkoholabgabe

Dass sich die neue generelle Ausweispflicht gegenüber jedermann auf keine gesetzliche Grundlage stützt, war dem BAG anscheinend auch bewusst. In dem FAQ – Prüfung der Covid-Zertifikate – wurde auf die Frage, ob es nicht Aufgabe der Polizeibehörde oder von autorisiertem Sicherheitspersonal sei, Ausweisdokumente zu kontrollieren und ob die Betriebe befugt seien, diese Kontrollen selbst durchzuführen, folgendermassen geantwortet:

«Analog der Alkoholabgabe an Minderjährige darf ein Ausweis kontrolliert werden, um die Einhaltung der geltenden Vorschriften sicherzustellen».

Gemäss dieser Antwort sollte für die Alkoholabgabe an Minderjährige bereits eine gesetzliche Grundlage bestehen, die es Privaten erlaubte, eine Identitätskontrolle durchzuführen. Ob dies tatsächlich zutrifft, ist aber fraglich.

In Art. 136 StGB wird nämlich unter Strafe gestellt, wer einem Kind unter 16 Jahren alkoholische Getränke oder andere Stoffe in einer Menge, welche die Gesundheit gefährden kann, verabreicht oder zum Konsum zur Verfügung stellt. Gemäss Art. 41 Abs. 1 lit. i Alkoholgesetz (AlkG) ist der Kleinhandel mit gebranntem Wasser durch Abgabe an Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren verboten. In Art. 14 Abs. 1 Lebensmittelgesetz (LMG) wird die Abgabe alkoholischer Getränke an Jugendliche unter 16 Jahren verboten.

Aufgrund dieser Bestimmungen kann einzig festgehalten werden, dass die Abgabe von Alkohol an Kinder und Jugendliche unter 18 resp. 16 Jahren verboten ist. Dass diese Bestimmungen aber eine Rechtsgrundlage für eine Kompetenzübertragung zur Identitätskontrolle auf Private darstellen soll, ist schlicht falsch.

Des Weiteren war sich der Bundesrat anscheinend bewusst, dass es für eine solch weitgehende Einschränkung eigentlich einer gesetzlichen Grundlage bedarf. In der Botschaft wird nämlich explizit darauf hingewiesen, dass es sich um ein Verbot mit relativ weitgehender Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit handle, weshalb es zusätzlich auf Stufe Gesetz zu verankern sei (vgl. Art. 164 Abs. 1 lit. b BV; BBl 2011 5571, 5607).

Es kann somit festgehalten werden, dass der Bundesrat mittels Covid-19-Zertifkat nebenbei auch eine generelle Ausweispflicht gegenüber jedermann einführen wollte und die Betreiber – unter Anordnung einer Busse – dazu verpflichten, die Ausweise zu kontrollieren. Diese zusätzlichen Pflichten stützen sich jedoch auf keine gesetzliche Grundlage, weder auf das Covid-19-Gesetz, noch auf das Epidemiengesetz, noch auf die Covid-19-Verordnung, noch auf eine analoge Anwendung der Bestimmungen über die Alkoholabgabe.

Folgen

Der Bundesrat hat demnach versucht, eine generelle Ausweispflicht einzuführen und die Kompetenz zur Ausweiskontrolle – die er notabene selbst gar nicht innehat – unter Androhung einer Strafe auf Private abwälzen. Für die Betreiber von Zertifikatsaktivitäten führt dies nun zu einer ungemütlichen Situation.

Die Problematik einer ungerechtfertigten Einführung der Ausweispflicht kann am besten anhand eines reellen Beispiels aufgezeigt werden. Ein Inhaber eines Bieler Cafés wurde 52aufgrund «Bürgermeldungen» zweimal von Zivilpolizisten aufgesucht. Der Betreiber hat beim Eintritt jeweils die Covid-19-Zertifikate kontrolliert, aber die Kontrolle der Identität unterlassen. Die Polizei hat daraufhin gestützt auf das Bernische Polizeigesetz eine sofortige Betriebsschliessung verfügt. Weshalb sich die Polizei auf das Bernische Polizeigesetz berufen hat, erscheint bis jetzt unklar.

Art. 77 Abs. 2 Polizeigesetz des Kantons Bern: «Die Übertragung der Kompetenz zur Identitätsfeststellung an Private ist ausgeschlossen.»

Gestützt auf das Bernische Polizeigesetz verfügt nämlich die Polizei auch über keine gesetzliche Grundlage, einen Betrieb zu schliessen. Zwar besteht nach Art. 4 PolG (Polizeiliche Generalklausel) die Möglichkeit, ohne besondere gesetzliche Grundlage unaufschiebbare Massnahmen zu treffen, um unmittelbar drohende oder eingetretene schwere Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwehren oder zu beseitigen. Dass das Unterlassen einer Identitätskontrolle keine schwere Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellt, sollte jedoch offensichtlich sein. Es handelt sich bestimmt nicht um einen echten und unvorhersehbaren Notfall. Die bernische Polizei hätte eher gestützt auf Art. 39 Abs. 1 Gastgewerbegesetzes die Möglichkeit gehabt, die vorläufige Schliessung des Betriebes anzuordnen. Dann nämlich, wenn Gefahr im Verzug ist oder Ruhe und Ordnung schwerwiegend gestört sind. Ob dies tatsächlich der Fall war, kann mangels Informationen nicht beurteilt werden.

Hingegen ist aber auf den Art. 77 Abs. 2 des bernischen Polizeigesetzes hinzuweisen. Da wird nämlich folgendes ausdrücklich festgehalten:

2 Die Übertragung der Kompetenz zur Identitätsfeststellung an Private ist ausgeschlossen.

Im Gesetz wird also ausdrücklich festgehalten, dass die Übertragung der Kompetenz zur Identitätsfeststellung keinesfalls an Private übertragen werden darf. Der Wirt durfte infolgedessen die Identität seiner Gäste gar nicht kontrollieren. Da er gestützt auf diese Rechtsgrundlage keine Kompetenz dazu hatte, hätte er – sofern er sich gesetzestreu verhalten wollte – bei jeder notwendige Identitätskontrolle die Kantonspolizei beiziehen müssen. Da eine solche Vorgehensweise nicht praktikabel ist, hat der Wirt einzig die Zertifikate kontrolliert und darauf verzichtet, seine Kompetenzen zu überschreiten. Sein Betrieb wurde daraufhin vorläufig geschlossen und es droht ihm zusätzlich eine Busse von CHF 10'000.-. Es droht also eine Strafe für sein gesetzeskonformes Verhalten. Dies sollte in einem gut funktionierenden Rechtsstaat grundsätzlich nicht vorkommen.

Schlussfolgerung

Bei der geschilderten Problematik der Rechtsgrundlagen darf nicht vergessen werden, dass wir seit Anfang 2020 gegen eine Pandemie zu kämpfen haben. Die ganze Welt wurde vom Corona-Virus überrascht und es besteht nicht nur eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit der Weltbevölkerung, sondern das Virus hatte auch starke Auswirkung auf Wirtschaft und Gesellschaft. Der Bundesrat stand vor einer unbekannten Situation, in der er schnell und ohne wirkliche Anhaltspunkte handeln musste. Aufgrund der unabsehbaren Gefährlichkeit und der globalen Ausbreitung des Virus und der damit verbundenen Notwendigkeit einer schnellen und einheitliche Bekämpfung, war 53die Erklärung der ausserordentlichen Lage vom 16. März 2020 wohl die richtige Entscheidung. Mit dem Notstandrecht konnten der Bundesrat, aber auch die Bundesversammlung gestützt auf die Verfassung, Notverordnungen und Notverfügungen erlassen, um eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder äusseren Sicherheit zu begegnen.

Weil sich die Schweiz seit Juni 2020 nicht mehr in einer ausserordentlichen Lage befindet und die Bettenbelegung zumindest unter Kontrolle zu sein scheint, sollten aber die allgemeinen Prinzipien der Rechtstaatlichkeit spätestens jetzt wieder gelten. Dies bedeutet, dass der Staat für jedes Handeln eine gesetzliche Grundlage haben muss (Art. 5 Abs. 1 BV). Gegenwärtig ist das nicht mehr wirklich der Fall und der Covid-19-Virus wird oft als Rechtfertigung für staatliches Handeln missbraucht. Vielleicht sollte uns einfach bewusst werden, dass der Covid-19-Virus an sich keine gesetzliche Grundlage darstellt und sich der Staat daher nicht darauf berufen kann, um neue Pflichten einzuführen.

Die Abkehr von der Rechtsstaatlichkeit kann gefährlich sein und sollte eigentlich bei der Bevölkerung für einen Aufschrei sorgen. Ein Aufschrei blieb jedoch aus. Im Gegenteil, es scheint fast so, als ob die Mehrheit der Bevölkerung die Abkehr von der Rechtstaatlichkeit befürwortet oder gar verlangt. Das aber erscheint doch besorgniserregend.

Download
Versteckte Einführung einer Ausweispflicht
Nicolas Chardonnens, ContraLegem 2021/3, 49-53
CL21-3-7-MVersteckte Einführung einer Au
Adobe Acrobat Dokument 1.6 MB

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

Chefredaktion

Marcel Alexander Niggli

 

Redaktion

Dimitrios Karathanassis
Louis Frédéric Muskens

Unser Video-Kanal auf YouTube