Denkfabrik
Moritz Saphir
18Ich weiss nicht genau, woher der Begriff «Denkfabrik» kommt oder wer ihn geprägt hat, gewiss aber ist, dass wer ihn geprägt hat, vom Denken keine Ahnung hatte. Der Begriff ist ein höchst missratener Versuch einer Übertragung des englischen «think tank» ins Deutsche. Das englische Original entsteht im 2. Weltkrieg und meint ursprünglich einen abhörsicheren Ort, an dem Pläne und Strategien entwickelt und diskutiert werden können, und verwendet für diesen Sachverhalt das Bild eines Tankes, also eines Reservoirs, Kanisters, Behälters, in dem gedacht wird. Das ist sachlich, neutral und – wie so häufig im Englischen – konkretisiert in einem passenden Bild. Ganz anders dagegen das deutsche Begriffsmonstrum der «Denkfabrik».
Das Wort «Fabrik» leitet sich vom lateinischen fabricare (anfertigen) her, was im englischen factory noch deutlich wird, und bezeichnet typischerweise ein Gebäude oder einen Ort, wo etwas hergestellt wird, und zwar in industrieller Grössenordnung, Anders als etwa noch in der Manufaktur, wo die Herstellung zwar sequentiell und arbeitsteilig erfolgt, aber – wie der Name sagt – im Wesentlichen von Hand, ruht die Produktion in einer Fabrik zum überwiegenden Teil, wenn nicht gar ausschliesslich, auf Maschinen bzw. der maschinellen Fertigung, wie sich z.B. am französischen Begriff usine gut erkennen lässt, mit dem heute eine Fabrik bezeichnet wird, ursprünglich aber eine Maschine, nämlich eine wassergetriebene Mühle.
«Denken» nun, die andere Hälfte des Begriffs «Denkfabrik», und zwar seine bedeutsamere, denn ums Denken geht es ja hoffentlich. «Denken» also bezeichnet eine Tätigkeit, die überhaupt nicht zum Begriff der Fabrik passt. Das fängt bereits damit an, dass natürlich beim Denken keine Maschinen verwendet werden (zumindest solange wir die Anwendung von Algorithmen nicht als Denken bezeichnen). Die Tätigkeit des Denkens selbst widerspricht in ihrer Essenz dem Konzept der Fabrik: Denken ist stets ergebnisoffen, es ist daher immer riskant, weil nicht vorhersehbar ist, wohin es einen führt. Es gibt dazu keine Anleitung und keine Vorgabe. Und Denken hat kein eigentliches Ziel, das macht die Tätigkeit so gefährlich. Der Denkende ist immer allein und deshalb immer im Ungewissen, ob er nicht einen Fehler begangen hat. Mehr noch, der Akt des Denkens ist unumgänglich und stets so einmalig, dass auch
Was aus einer Denk«fabrik» kommt, kann nicht gut sein, weil die Verfertigung von Gedanken nach der Art einer Fabrik jeder Form von «Denken » zuwiderläuft.
Der Begriff des «Denkens» widerspricht also in seinem eigentlichen Kern demjenigen der «Fabrik». «Denkfabrik» erscheint damit nicht bloss als mixtum compositum, sondern als eigentliches Oxymoron, also als Selbstwiderspruch.
Nun könnte man natürlich einwenden, das alles sei ja nicht so schlimm, letztlich sei doch egal, mit welchem Begriff ein Sachverhalt bezeichnet werde, und vielleicht stimmt das ja sogar. Nur hat eben Sprache Bedeutung (nicht nur für Juristen). Begriffe haben einen Gehalt. Natürlich besteht die Bedeutung eines Begriffs in seinem Gebrauch und es entscheidet letztlich derjenige, der einen Begriff verwendet, darüber, worin dieser Gehalt besteht. Natürlich können wir Sprachspiele und damit die Bedeutung von Begriffen verändern bzw. anders bestimmen. Die Frage ist, ob wir es tun sollten. Sicher ist, dass wir Begriffe nicht beliebig verwenden sollten.
Entweder der Begriff «Denkfabrik» meint also tatsächlich, was er sagt, dann bezeichnet er nichts Gutes, oder es handelt sich dabei um eine Fehlkonstruktion: Was aus einer Denk«fabrik» kommt, kann nicht gut sein, weil die Verfertigung von Gedanken nach der Art einer Fabrik jeder Form von «Denken» zuwiderläuft. Aber vielleicht meint die Verwendung des Begriffes eben genau dies. Vielleicht ist nicht sein «Fabrik»-Teil problematisch, möglicherweise hat sich in einer Mediengesellschaft schlicht das Verständnis von «Denken» derart gewandelt, dass darunter ein Prozess verstanden wird, dessen Resultat von vorneherein bekannt und vorbestimmt ist. Vielleicht ist ja «Denken» – und es spricht tatsächlich einiges dafür – zu einem religiösen Akt geworden. Gnade uns Gott, falls das zutreffen sollte.
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