Gendering, aber gekonnt

Moritz SaphirGendering, aber gekonnt!VSContraLegem202135861

Gendering, aber gekonnt!

Moritz Saphir

Zur Verwendung von männlichen und weiblichen Generika – und ein wenig zum Rechtsstaat

Gendering

58In der Republik ist ein Beitrag über das Bundesstrafgericht (Das Bundes-Problemgericht) erschienen. Darin findet sich folgende Passage:

«die einfachen Mitarbeitenden sagen: die Richterinnen seien unantastbar»

Aha. Die Richterinnen also sind unantastbar, im Gegensatz zu den Richtern? Auch schön der folgende Satz:

«Die Deutschschweizerinnen stellen die Mehrheit der Richter»

«Richter» muss hier ganz offenbar Männer und Frauen meinen, weil sonst logisch unmöglich wäre, dass «Deutsch­schweizerinnen» dazugehören können. Wenn das aber zutrifft, dann kann der Begriff «Richterin­nen» im unmittelbar vorangehenden Satz nur die Frauen meinen, ansonsten die Unterscheidung gar keinen Sinn ergäbe und die Verwendung unterschiedlicher Genera (Richter vs. Richterinnen) einzig Verwirrung schaffte. Denn wenn «Richter» beide Geschlechter meint und «Richterinnen» ebenfalls, dann ist die Unterscheidung selbst ja obsolet. Meint demgegenüber das generische Maskulinum «Richter» (ganz klassisch) beide Geschlechter, dann kann das davon zu unterscheidende «Richterinnen» nur die Frauen meinen. Ist aber dies tatsächlich die Aussage? Dass Richterinnen unantastbar sind, nicht aber Richter?

Höchst unterhaltsam geht es weiter:

«Im Gegensatz zu Mitarbeitenden unterstehen Richterinnen nicht dem Personalrecht»

Meint «Richterinnen» hier wieder nur die Frauen? Das verwirrt, denn eine Geschlechterdiskriminierung wäre ja wohl unzulässig. Umgekehrt wird genau das insinuiert, denn die Richterinnen werden ja in Gegensatz gestellt zu «Mitarbeitenden», also einem Terminus, der ganz offensichtlich Männer und Frauen erfassen soll, denn dies ist ja wohl Sinn des Gerundiums. Wäre dann der Terminus «die Richtenden» nicht angemessener, sofern man denn Männer auch meinen will? Oder meinetwegen «die Gerichtspersonen», ein Begriff, der – horribile dictu! – tatsächlich in besonders woken Kantonen bereits verwendet wird. Das allerdings wirft wiederum die Frage auf, wie Gerichtsdiener zu bezeichnen wären. Gerichtsdienende? Im Gegensatz zu den Gerichtspersonen, die ganz offenbar nicht Dienende wären (ausser natürlich im Hinblick auf das Recht selbst), sondern eben durch die Gerichtsdienenden Bediente, also Gerichtsbediente.

Ein besonders schönes Problem ergibt sich für die Gerichtsweibel (korrekt natürlich die Gerichtsweibelinnen und Gerichtsweibel), die konsequenterweise Gerichtsweibelnde heissen müssten, oder aber – auch schön – Gerichtsweibelspersonen. Wir hätten dann Bundesweibelspersonen (Bundesratsweibelnde, Parlamentsweibelnde, 59Bundesgerichtsweibelnde), kantonale Weibelspersonen (Standesweibelnde, Ratsweibelnde, Gerichtsweibelnde) und kommunale Weibelspersonen (Stadtweibelnde, Gemeindeweibelnde und Ratsweibelnde). Aber all dies nur nebenher.

Schliesslich aber, und damit wollen wir zum Ende kommen, scheint im Text bzw. seinem Autor nicht nur Verwirrung zu bestehen bzgl. der Geschlechter, sondern auch hinsichtlich des eigentlichen Bericht­gegen­standes.

«Auch am Bundesstrafgericht geht es nicht immer nur um Strafrecht. Sexuelle Belästigung und Sexismus können auch das Arbeitsrecht oder das Gleichstellungsgesetz verletzen. Zum Beispiel dann, wenn eine Frau klarmacht, dass ihr ein Verhalten unangenehm ist. Wenn man dann diese Grenze, die gesetzt worden ist, nicht respektiert, dann ist der Tatbestand der sexuellen Belästigung grundsätzlich erfüllt»

Wir hätten dann Bun-desweibelspersonen, kantonale Weibelspersonen und kommunale Weibelspersonen. Aber all dies nur nebenher.

Das lässt jeden Sachkundigen schmunzeln, denn beim «Tatbestand der sexuellen Belästigung» denkt man notwendig und natürlich an das behaupteterweise unmassgebliche Strafrecht, namentlich an den Tatbestand von Art. 198 StGB, den einzigen Tatbestand sexueller Belästigung, den das geltende Recht gegenwärtig kennt.

Rechtsstaatlichkeit

Nimmt man zugunsten der Republik keinen blossen Lapsus an, sondern geht auf die Suche nach möglichen Bedeutungen der Aussage, so entdeckt man Erstaunliches. Schliesst man nämlich – trotz der unglücklichen Formulierung – das Strafrecht aus, so können nur das Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel, kurz Arbeitsgesetz, ArG (SR 822.11), und das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann, GlG (SR 151.1) gemeint sein. Das Arbeitsgesetz enthält keine Regelung zur sexuellen Belästigung, bleibt also nur das Gleichstellungsgesetz.

In Art. 3 und 4 des Gleichstellungsgesetzes wird verboten, Personen aufgrund ihres Geschlechtes bei Anstellung, Aufgabenzuteilung etc. zu benachteiligen (Art. 3). Das meint die Republik mit ihren Ausführungen wohl nicht. Es kann sich also nur um Art. 4 GlG handeln. Danach ist «jedes belästigende Verhalten sexueller Natur oder ein anderes Verhalten aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit, das die Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz beeinträchtigt» diskriminierend. Diese doch sehr vage Formulierung wird immerhin dahingehend präzisiert, dass darunter insbesondere Drohungen, Versprechen von Vorteilen, Auferlegen von Zwang oder Ausüben von Druck zur Erlangung von Entgegenkommen sexueller Art fallen. All das aber kann ja nicht gemeint sein in dem Bericht über das Bundesstrafgericht, denn von alledem ist nicht im mindesten die Rede.

Würde bereits die Bitte an eine Mitarbeiterin, in der nächsten Zeit nicht schwanger zu werden, als diskriminierend qualifiziert und damit den «Tatbestand der sexuellen Belästigung» erfüllen, so müsste Gleiches wohl für das Gleichstellungsgesetz selbst gelten, das (1) Männer und Frauen stets unterscheidet und (2) grammatikalisch stets Frauen vor Männer stellt (so bereits seinem Titel). Klassische Formeln der Höflichkeit und des Anstands (wie «Damen und Herren» oder 60«Frauen und Kinder zuerst» im Falle einer Seenot) wären dann sexistisch bzw. diskriminierend i.S.v. Art. 3 GlG, weil sie eben die Geschlechter unterscheiden und eines davon benachteiligen, wenn auch nicht das weibliche. Das Gleichstellungsgesetz erwähnt zwar die sexuelle Belästigung, kennt aber keinen entsprechenden «Tatbestand», sondern nur einen der Diskriminierung (u.a. durch sexuelle Belästigung).

Eine demokratisch nicht legitimierte und in Sachen persönlicher Integrität und sexueller Belästigung auch nicht kompetente Verwaltungsbehörde gibt unter einem irreführenden Titel Anleitung, wie ein Bundesgesetz zu verstehen sei.

Wenn aber das Gleichstellungsgesetz nicht gemeint sein kann, vielleicht eben doch das Arbeitsgesetz, obwohl es – wie bereits gesagt – keine entsprechende Bestimmung enthält? Und tatsächlich! Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (man beachte wiederum die Reihenfolge der Geschlechter) macht auf dem Internet Ausführungen zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz. Im zugehörigen Dokument «Gesetzliche Grundlagen» (das Dokument ist übrigens merkwürdigerweise undatiert) findet sich tatsächlich der folgende Passus:

«Die Wegleitung zu den Verordnungen 3 und 4 des Arbeitsgesetzes geht explizit auf den Tatbestand der sexuellen Belästigung ein. Sie bezieht sich dabei auf Artikel 2 der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz.»

Und tatsächlich. Das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, genauer die Direktion für Arbeit, Abt. Arbeitsbedingungen hat tatsächlich eine entsprechende Wegleitung herausgegeben, und in der Version Stand August 2021 (dieses Dokument ist tatsächlich datiert) findet sich der folgende Passus (S. 302-4):

«Zu den Eingriffen in die persönliche Integrität fallen beispielsweise sexuelle Belästigung und Mobbing oder Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, der Rasse oder der Religion.»

Das Problem ist nur, dass die Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz, und insbesondere deren Art. 2, welchen der Passus zu kommentieren vorgibt, nichts zur sexuellen Belästigung enthalten. Und selbst die «persönliche Integrität», die das SECO durch sexuelle Belästigung tangiert sieht, taucht nicht auf, in keiner der beiden Verordnungen (2 und 3) zum Arbeitsgesetz. Symptomatischerweise finden sich die Ausführungen des SECO zur sexuellen Belästigung in der Kommentierung zu Art. 2, der selbst eben weder die persönliche Integrität noch die sexuelle Belästigung erwähnt, sondern nur Vorgaben macht zum Schutz der physischen und psychischen Gesundheit (a. Ergonomie, Hygiene, b. physikalische, chemische und biologische Einflüsse, c. übermässige oder einseitige Beanspruchung, d. Organisation der Arbeit). Im Anschluss an die Kommentierung dieser Aspekte, folgen dann ohne Not und System Ausführungen zur persönlichen Integrität und insbesondere zur sexuellen Belästigung. Diese Ausführungen beziehen sich nicht auf Art. 2 der Verordnung oder sonst eine ihrer Bestimmungen, sondern nehmen explizit Bezug auf das Arbeitsgesetz und dessen Art. 6 Abs. 1. 61Zudem erläutert das SECO über eine Seite lang (dafür ohne jeden Beleg), was genau der Begriff der sexuellen Belästigung bedeute (woher auch immer das SECO die Sachkenntnis und Fachkompetenz dazu hernimmt).

Damit sind wir im Kern des Problems: Rechtsstaatlichkeit. Das SECO kommentiert unter dem Titel «Wegleitung zu den Verordnungen 3 und 4» nicht diese Verordnungen, sondern das Arbeitsgesetz selbst. D.h. eine demokratisch nicht legitimierte und in Sachen persönlicher Integrität und sexueller Belästigung auch nicht kompetente Verwaltungsbehörde gibt unter einem irreführenden Titel Anleitung, wie ein Bundesgesetz zu verstehen sei (mithin ein Anwendungsfall des in dieser Nummer thematisierten illegitimen Soft Laws). Nicht nur der Titel der Wegleitung aber ist krass und offenbar vorsätzlich falsch und irreführend, sondern auch ihre Ausführungen. So findet sich darin der folgende Passus (S. 302-G):

Hinweis: Das Verbot der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz ist auch in anderen Gesetzen geregelt.

Das insinuiert, dass das Arbeitsgesetz die sexuelle Belästigung regle. Dies aber ist nicht der Fall! Genannt wird in Art. 6 ArG die persönliche Integrität. Natürlich ist es zulässig, wenn das SECO sexuelle Belästigung als Eingriff in die persönliche Integrität verstehen will. Das SECO darf verstehen, was es will. Das Recht auf eine eigene Meinung steht ihm genau so zu, wie uns (wenn denn Verwaltungseinheiten überhaupt eine «eigene Meinung» haben können). Unzulässig aber ist, das eigene (demokratisch nicht legitimierte) Verständnis als objektiven Gehalt eines (demokratisch legitimierten) Gesetzes auszugeben. Dazu müssten in jedem Fall zumindest die eigene Sachkompetenz ebenso wie die Zuständigkeit dargetan werden. Mir jedenfalls springt nicht ohne Weiteres ins Auge, was das SECO zur Definition sexueller Belästigung befähigen sollte.

Könnte es sein, dass hier eine Verwaltungsstelle unbedingt etwas zum Thema sexuelle Belästigung loswerden wollte und sich im Bewusstsein mangelnder Zuständigkeit dazu irgendeinen Weg gesucht hat, um es zu tun? Und ein Journalist unter Zeitdruck hat es dann ohne weitere Reflexion und Recherche (wieso sollte man auch der eidgenössischen Verwaltung misstrauen) übernommen. Alles natürlich im Bestreben, Gutes zu tun.

Uns allen wären ein bisschen weniger guter Wille und ein bisschen mehr korrektes Handwerk zu wünschen. Verwaltungsbehörden sind nicht zuständig für die Gesetzgebung. Und wenn sie Gesetze konkretisieren und ausgelegen müssen, so sollten sie es in Verordnungen und anfechtbaren Entscheiden tun, nicht in unverbindlichen Wegleitungen, für die sie keine Verantwortung übernehmen müssen, die alle anderen aber trotzdem «irgendwie» verpflichten.

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Gendering, aber gekonnt!
Moritz Saphir, ContraLegem 2021/3, 58-61
Niggli, Muskens. Bussen und Steuern - Wa
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